Was können wir gegen die Plastikkrise in den Meeren tun? – frutti di mare zum Dritten

Fast kein Umweltproblem ist so offensichtlich und uns Menschen so bewusst wie die Verschmutzung durch Plastikmüll. Trotzdem scheint kein Ende des Problems in Sicht und die Ökosysteme stehen weiterhin vor dieser riesigen Herausforderung. Deshalb ist der Plastikmüll und vor Allem Lösungsansätze dafür Thema unserer dritten Folge von frutti di mare. Dafür sind wir nach Sylt gefahren, denn hier wird der Müll einerseits angespült und sich andererseits intensiv damit auseinandergesetzt, wie wir damit umgehen sollten.

Kunststoffe haben viele tolle Eigenschaften. Sie sind leicht, stabil, günstig und dürfen für Verpackungen von Lebensmitteln genutzt werden. Deshalb ist ihr vielfältiger Einsatz in der Verpackungsindustrie so beliebt. Gleichzeitig finden Plastikabfälle häufig ihren Weg in die Umwelt und die Meere und beeinträchtigen dort das Leben und die Ökosysteme. Eben weil Plastik so stabil ist, dauert es Jahrhunderte bis es ganz zersetzt ist und wieder verschwindet. In diesen Jahrhunderten können die Plastikabfälle viele Schäden anrichten, wie ein zusammenfassender Bericht des World Wildlife Fund (WWF) zeigt.

Tiere wie Wale, Seevögel oder Schildkröten verschlucken größere Plastikteile, was zur Erstickung führen kann oder zur Verstopfung von Organen. Und ganze Ökosysteme wie Korallenriffe oder Mangrovenwälder können absterben, wenn sie durch Plastikmassen bedeckt werden. Außerdem hat kleinstes Mikroplastik, was entweder direkt – zum Beispiel als Reifenabrieb – in die Meere gelangt, oder nach und nach durch die Zersetzung größerer Teile entsteht, ebenso Auswirkungen auf die Meere. Organismen nehmen die Teilchen auf und diese verstopfen ihre Kreisläufe oder führen zu Vergiftungen. Und auch wir Menschen sind direkt mit den Auswirkungen verbunden. Denn das Plastik und dessen Inhaltsstoffe gelangen auch in unsere Nahrungskette. Und wenn Ökosysteme wie die Mangrovenwälder absterben, verschwinden auch deren Ökosystemfunktionen, wie der Erhalt von Biodiversität oder die Speicherung von CO2.

Elias von frutti di mare greift ein Stück Plastik mit einer Greifzange und tut es in einen Eimer.

Kleine Plastikteile finden sich genauso wie größere am Strand auf Sylt. Bild: © Vincent Köller

Das Plastikproblem ist aber nicht nur die Verantwortung der Küstenbewohner*innen. Oft gelangt der Müll bereits im Inland in die Flüsse und wird durch diese in die Meere gespült. Je nach Region spielen noch ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle, am Mittelmeer zum Beispiel vor Allem der Tourismus, in der Nordsee auch die Fischerei und die Schifffahrt. Wie das Beispiel der Flüssen zeigt, bleibt das Plastik aber nicht an einem Ort. Durch die Meeresströmungen gelangt es in alle Teile der Welt. Erst kürzlich berichtete das Afred-Wegener-Institut Bremerhaven, dass sich sogar in der Arktis Plastikteile aus der ganzen Welt finden, auch aus Deutschland.

Unsere Reise nach Sylt

Und so gelangt das Plastik auch an die Strände der Nordseeinsel Sylt, die auch als beliebtes Urlaubsziel gilt. Für Heike Werner ist die Insel mehr als das. Sie ist auf Sylt aufgewachsen und wohnt schon ihr ganzes Leben hier. Und gemeinsam mit der Initiative Bye Bye Plastik setzt sie sich nun ehrenamtlich gegen die Plastikverschmutzung in den Meeren ein.

Wir treffen Heike zunächst zum Müllsammeln an einem der besagten Stränden. Sie möchte uns nämlich zeigen, wovon wir hier überhaupt reden. Ausgestattet mit riesigen Grillzangen und Plastikeimern machen wir uns auf die Suche. Auf den ersten Blick ist der Strand recht sauber, auf den zweiten Blick finden sich jedoch überall kleine und auch etwas größere Plastikteile, wobei man kaum zuordnen kann, was diese Teile früher mal waren. Wenn man sich diese großflächige Verteilung anschaut, wird klar, warum Wissenschaftler*innen zu dem Schluss kommen, dass man das ganze Plastik in der Umwelt nicht mehr herausbekommt. Das ist die erste Ernüchterung.

Heike Werner von Bye Bye Plastik steht an einer Mülleimer am Strand und hält mit einer Greifzange eine To-Go-Verpackung.

An einer To-Go-Verpackung wird deutlich, wie linear wir bei dem Thema Plastik denken. Bild: © Vincent Köller

An einer Müllsammelstation am Strand wird klar, dass wir nicht die einzigen Sammler sind. Obwohl die Strände regelmäßig durch die Gemeinden gereinigt werden, nehmen anscheinend auch viele Sylter*innen Meeresmüll mit und entsorgen ihn an der Station. In den Behältern finden sich Fischereifäden und Gummihandschuhe neben undefinierbaren Bruchstücken und vielen Plastikverpackungen. Anhand einer To-Go-Verpackung, die sie sich mit der großen Zange greift, macht Heike das grundsätzliche Problem hinter dem Verpackungsmüll deutlich:

„Das Problem ist das lineare Wirtschaftmodell, das wir haben: Man holt sich das Erdöl, dann werden daraus erstmal Plastikpellets und dann Plastik hergestellt. Dann geht es in die Fabriken und wird befüllt. Dann wird es in die Supermärkte gebracht, 20 Minuten verwendet und weggeschmissen.“

Das Problem mit dem Recycling

„Dann liegt doch die Lösung im Recycling“ ist häufig die Antwort. Ganz so einfach ist es leider nicht. Zunächst einmal werden zwei Drittel des Plastiks im gelben Sack nur „energetisch verwertet“. Das heißt, es wird zur Energiegewinnung verbrannt, zum Beispiel in Zementwerken. Nur ein Drittel wird dagegen „stofflich verwertet“. Nach Verarbeitungsprozessen entsteht dabei wieder Plastik, so genanntes Rezyklat. Nun wird von diesem Rezyklat aber wiederum nur etwa 30% für Verpackungen genutzt. Und aus hygienischen Gründen landet es nicht in Lebensmittelverpackungen, sondern vor Allem in Verpackungen für Waschmittel oder Duschgel zum Beispiel. Die restlichen 70% Rezyklat werden im Baugewerbe oder in der Landwirtschaft zum Beispiel verarbeitet, wie eine Branchenstudie zeigt.

„Da brauchen wir einen systemischen Wandel, anders werden wir das nicht in den Griff kriegen“

So landen nach dieser Rechnung letztendlich nur etwa 9-10% des Plastiks aus dem gelben Sack in neuen Verpackungen. Auch wenn Recycling wichtig ist und bleibt, hat recyceltes Plastik einfach nicht die Qualität wie neues Plastik. Das ist die zweite Ernüchterung.

Wenn weder das Einsammeln des Mülls noch Recycling das Problem wirklich beheben können, was ist dann der Lösungsansatz, um den es gehen soll? Es klang schon weiter oben an: Bye Bye Plastik will das Problem bei der Wurzel packen und die Reduktion der Plastikproduktion und damit des Plastikmülls angehen. „Da brauchen wir einen systemischen Wandel, anders werden wir das nicht in den Griff kriegen“, sagt Heike Werner dazu.

Eine Darstellung der Abfallpyramide. Ganz oben und damit am wichtigsten ist die Abfallvermeidung. In absteigender Reihenfolge ist folgender Umgang notwendig: Wiederverwendung, Recycling, sonstige Verwertung und Beseitigung auf Deponien.

Die sogenannte Abfallpyramide soll zeigen, wie mit Müll umgegangen werden sollte. Je weiter oben ein Umgang, desto eher sollte dieser anvisiert werden.

Die Rolle von Bye Bye Plastik

Diesen systemischen Wandel hin zur Abfallvermeidung anzugehen, ist eigentlich die Verantwortung von Herstellern durch neues Verpackungsdesign und von der Politik durch regulierende Gesetze. Auch wenn es positive Beispiele gibt, wie die neue Merhwegpflicht für To-Go-Essen in gastronomischen Betrieben, reichen die Ansätze häufig nicht aus. Deshalb engagieren sich Heike und die deutschlandweit 25 Ehrenamtlichen von Bye Bye Plastik für dieses Thema. Sie haben sich zur Aufgabe gemacht, einerseits uns Verbraucher*innen für das Thema zu sensibilisieren, aber auch Unternehmen mitzunehmen. Denn diese können Partner von Bye Bye Plastik werden, wenn sie in Zusammenarbeit mit der Initiative ihren Plastikverbrauch reduzieren.

Zunächst füllen die Unternehmen dafür einen „Plastikcheck“ auf der Webseite der Initiative aus. „Das ist unsere Gesprächsgrundlage. Dann kommen wir vorbei und schauen uns den Ist-Zustand an und wo man einsparen kann“, erklärt Heike. Anschließend wird gemeinsam eine Liste erstellt, wo der Betrieb Plastik reduzieren kann, die dann umgesetzt wird. Wenn die Ehrenamtlichen dann einige Zeit später wieder vorbeikommen und der Einsatz von Plastik reduziert wurde, bekommen die Unternehmen einen großen Bye Bye Plastik Sticker, ein Label sozusagen, mit dem sie ihren Einsatz auch kommunizieren können.

Wie ein Hotel Plastik einsparen kann

Das Hotel „Alte Strandvogtei“ ist eines der Unternehmen, die aktuell an ihrem Plastikverbrauch arbeiten. Bei unserem Besuch zeigt sich, wo überall Plastik vermieden werden kann. Wo früher viele kleine Portionsverpackungen für Joghurt, Actimel, Butter oder Nutella standen, finden sich heute Glasschalen und ein Spender für Schokoaufstrich, die aus Großverpackungen befüllt werden. Außerdem gibt es zum Beispiel Leitungswasser aus Karaffen anstatt aus Plastikflaschen.

Elias von frutti di mare steht an einem Frühstücksbuffet, an dem er sich aus Gläsern und Glasschalen bedient.

Beim Frühstücksbuffet wird deutlich, dass viel Plastik reduziert werden kann, wenn Gläser aus Großverpackungen befüllt werden. Bild: © Vincent Köller

Bei einer Führung durch die Zimmer zeigt uns die Nachhaltigkeitsbeauftragte Debora Longobardi weitere Ansatzpunkte im Hotel: Süßigkeiten im Glas, statt in kleinen Plastiktüten, möglichst Kaffeemaschinen ohne Kapseln, auffüllbare Shampooflaschen und auch hier wieder der Fokus auf das Leitungswasser. Das sind vor Allem viele kleine Dinge, machen in der Masse eines Hotels aber viel aus. Die Mitarbeiter:innen des Hotels wollen auch ihren Gästen das Thema näher bringen, wie Debora erklärt: „Ich denke, dass man mit jedem Gast, mit dem man spricht, vielleicht jemanden motiviert, auch zuhause mitzumachen.“

Für zuhause hat auch Heike am Ende des Tages ein paar Tipps:

  • Beim Kauf auf Mehrweg-Verpackungen wie Gläser für Joghurt oder Flaschen für Apfelsaft achten, da Tetra Paks ebenfalls aus Plastik bestehen.
  • Unverpackte Lebensmittel einkaufen, zum Beispiel in Gemüsekisten beim lokalen Hof, dort steht nämlich zusätzlich noch die Saisonalität im Fokus.
  • Leitungswasser trinken.

„Wenn ihr diese drei Dinge beherzigt und das für eine Woche macht, seht ihr, dass in der gelben Tonne nachher gar nicht mehr so viel drin ist“, fasst Heike zusammen. Mehrweg und Unverpackt seien zwar manchmal teurer, jedoch seien bei anderen Produkten die Konsequenzen für die Umwelt nicht eingepreist. Externalisierung nennt sich das, wenn die Kosten in dieser Form auf andere abgewälzt werden.

Was am Ende also bleibt, ist, dass auch kleinere Unternehmen und wir Verbaucher:innen eine Hebelwirkung beim Thema Plastikmüll haben, auch wenn deutlich wird, dass der systemische Wandel insbesondere durch Hersteller und Politik umgesetzt werden muss. Verbraucher:innen und die wichtigen Initiativen wie Bye Bye Plastik spielen aber auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Druck auf eben diese Akteure auszuüben.

Heike Werner von Bye Bye Plastik hält ein Mehrwegglas, ein Gemüsenetz und eine Trinkflasche in der Hand.

Mit dem Kauf von unverpackten Artikeln, dem Fokus auf Mehrwegverpackungen und dem Trinken von Leitungswasser ist schon viel getan. Bild: © Vincent Köller

In diese Folge haben wir also eine andere Seite unserer Meeresthemen betrachtet als in den vorherigen Episoden, und den Fokus nicht nur auf Wissenschaftler*innen gesetzt. Wenn ihr euch für andere spannende Lösungsansätze für die Herausforderungen in den Ozeane interessiert, lest und schaut bei den anderen Folgen unserer Wissensserie frutti di mare vorbei.

Text: Elias Tetzlaff