Wie kann die Fischerei nachhaltiger werden? – Die vierte Folge von frutti di mare

Überfischung, Fangmethoden, die Ökosysteme zerstören, Massentierhaltung und die Überdüngung von Gewässern durch die Ausscheidungen von Zuchtfisch. Die Fischerei und Aquakulturen stehen immer wieder in der Kritik. Es sind also nachhaltigere Methoden der Fischerei und der Aquakultur gefragt. Um die geht es in der vierten Folge von frutti di mare.

Zunächst die Probleme. Überfischung findet statt, wenn von einem Bestand – also einer Fischart in einem bestimmten geografischen Gebiet – mehr Fisch gefangen wird, als gleichzeitig durch die Fortpflanzung nachwachsen kann.  Laut den Vereinten Nationen gelten weltweit etwa ein Drittel der Fischbestände als überfischt. Das betrifft auch Ost- und Nordsee. Gerade in der Ostsee sei die Lage dramatisch, sagt Valeska Diemel. Die Fischereiexpertin vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zeigt auf, dass viele Fischbestände in der Ostsee nicht nur „überfischt, sondern zusammengebrochen“ seien, insbesondere Dorsch und Hering, deren normale Fortpflanzung nicht mehr funktioniere. Auch wenn die Lage in der Nordsee etwas komplizierter zu beurteilen sei, weil das Gebiet größer ist und mehr Staaten mehr Fischbestände fangen, sei auch hier klar, dass beispielsweise der Nordseekabeljau große Probleme habe.

Grafik, die die Überfischung der weltweiten Fischbestände zwischen 1974 und 2017 zeigt.

Etwa ein Drittel der weltweiten Fischbestände gilt als überfischt. Quelle: Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.

Doch sind Kabeljau und Dorsch – die die gleiche Fischart, nur in unterschiedlichen Regionen bezeichnen – wichtige Räuber und der Hering ein wichtiger Beutefisch im Nahrungsnetz der Meere. Kollabiert eine Art und stirbt womöglich aus, entsteht eine Lücke im Nahrungsnetz. Dadurch können Seevögel wiederum Schwierigkeiten haben, Nahrung zu finden oder eine andere Art sich zu stark vermehren und das Ökosystem so aus der Balance bringen. Und was diese Arten gemeinsam haben, ist, dass sie die wichtigste Einkommensquelle für lokale Fischereibetriebe und sogenannte Brotfische sind. Deshalb ist die Überfischung auch ein soziales Problem, wenn diese Arten als Konsequenz nicht mehr gefangen werden können oder dürfen und Fischer deshalb ihre Existenzgrundlage verlieren. Dies geschieht aktuell zum Beispiel mit den Küstenfischern an der Ostsee.

„In der Ostsee ist die Lage dramatisch“

Die Gründe für die Überfischung

Für Valeska Diemel liegen die Ursachen für die Überfischung zum einen im generellen System des Fischereimanagements. In diesem wird jeder Fischbestand einzeln betrachtet und bewertet, um wissenschaftliche Empfehlungen und Fischereiquoten festzulegen. Andere Einflüsse, wie das Zusammenspiel von Arten, Umweltherausforderungen wie die Eutrophierung und die Erwärmung der Meere durch die Klimakrise werden nicht berücksichtigt. Deshalb können die Daten trügerisch sein und möglicherweise nicht die tatsächliche Entwicklung abbilden. Zum anderen sind in die Quoten selbst häufig ein Problem. In der Europäischen Union ist beispielsweise der Ministerrat der Agrar- beziehungsweise Fischereiminister*innen der Anrainerstaaten zuständig für die Quotenvergabe. Dieser Rat legt seit Jahren Fangquoten fest, die deutlich über den wissenschaftlichen Empfehlungen liegen. Und das, obwohl die Überfischung in der EU verboten ist. Dieses Zusammenspiel führt zu der aktuellen Lage in Nord- und Ostsee.

Grafik, die die Entwicklung der Aquakulturen weltweit von 1960 bis 2020 zeigt.

Seit 1960 hat der Anteil der Aquakultur an Fischerei immer weiter zugenommen, mittlerweile stammen etwa 50% der weltweiten Fischproduktion aus Aquakulturen. Quelle: Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.

Die Probleme der Aquakultur

Um den Druck der Fischerei auf die Ökosysteme abzumildern, ist oft die Aquakultur, also Fischzucht als Lösung im Gespräch. Schon heute stammen etwa 50% der globalen Fischprodukte aus Aquakulturen. Und die Tendenz zeigt nach oben. Auch der Lachs, der beliebteste Speisefisch in Deutschland, stammt kaum aus dem Wildfang, sondern vor allem aus Aquakulturen in den Fjorden von Norwegen. Die Probleme: Aufgrund der engen Haltung haben Parasiten wie die Lachslaus und andere Krankheiten bei der Übertragung oft leichtes Spiel, wodurch immer wieder viele Tiere sterben. Ein anderes Thema ist, wenn die Ausscheidungen der Fische zu ökologischen Problemen führen, wenn sie in die Natur gelangen, die Ökosysteme überdüngen und so schädliche Algenblüten auslösen. Hinzu kommt, dass viele Fischarten, wie auch der Lachs, Raubfische sind, die unter anderem mit Fischmehl und Fischöl gefüttert werden. Und trotz Verbesserungen in den letzten Jahren, stammt der Fisch dafür auch heut noch zum Teil von Arten und aus Regionen, die von der Überfischung betroffen sind.

Der Reporter und Valeska Diemel im Gespräch in einem Konferenzraum.

Mit Valeska Diemel, Fischereiexpertin beim BUND, besprechen wir die Probleme und die Ursachen der Überfischung. Aber auch die Lösungen, die die Wildfischerei nachhaltiger machen können. Bild: © Vincent Köller

Die Aquakultur der Zukunft?

Doch geht Aquakultur auch anders, wie wir bei einem Ausflug nach Rostock sehen dürfen. Hier treffen wir Professor Harry Palm, der den Bereich Aquakultur und Sea-Ranching an der Universität Rostock leitet und uns die Aquakultur-Anlagen vor Ort zeigt. Als erstes geht es um eine Reihe von Fischtanks, die innerhalb eines Gewächshauses stehen, das später noch eine Rolle spielt. In diesen Tanks werden unterschiedliche  Generationen Afrikanischer Welse gehalten. Warum ausgerechnet diese Fische? „Die Fische sind zum einen sehr schnellwüchsig und erreichen innerhalb von sechs Monaten ein Gewicht von 1,5 Kilogramm“, zu dem sie geschlachtet werden können, sagt Professor Palm. Das ist der wirtschaftliche Faktor. Mehr Zuwachs in kürzerer Zeit bedeutet mehr Gewinn für wirtschaftliche Betriebe mit solchen Anlagen.

Der Reporter und Professor Harry Palm unterhalten sich zwischen zwei Reihen blauer Fischtanks.

In diesen Tanks werden die verschiedenen Generationen Afrikanischer Welse gehalten. Bild: © Vincent Köller

Es gibt aber noch einen zweiten Faktor, der auch das Tierwohl ins Auge nehmen soll. Obwohl diese Tanks mit Sicherheit nicht die natürlich Umgebung der Tiere sind, kommen die Afrikanischen Welse vergleichsweise gut mit den Bedingungen klar. Denn sie haben ein bestimmtes Atmungsorgan, dass es ihnen erlaubt, Luftsauerstoff zu atmen, wenn die Bedingungen im Becken schlechter werden und der Sauerstoffgehalt sinken sollte.

Das hilft den Welsen auch in ihrer natürlichen Umgebung, wenn ihr Lebensraum in der Trockenzeit  phasenweise zu Schlammpfützen zusammenschrumpft und sie sich eng an eng drängen. Das ist auch sein Argument, wenn Professor Palm sich hier gegen den Begriff der Massentierhaltung wehrt: „Die Tiere sind daran gewöhnt, dass sie sich zusammensammeln und wenig Wasser zur Verfügung haben.“ Zudem wird so das Revierverhalten der Fische ausgeschaltet. Unter einer weniger engen Haltung würden die Tiere sich gegenseitig verletzen, so Palm.

Professor Harry Palm sieht insbesondere deshalb die Notwendigkeit für Aquakulturen, weil Fische einen vergleichsweise niedrigen ökologischen Fußabdruck haben. Das heißt, sie benötigen weniger Futter und bei ihrer Haltung entsteht weniger CO2, übrigens auch beim Fischfang. Dies liegt daran, dass Fische sehr effizient in der Nahrungsmittelverwertung sind. Während bei vielen Arten mit weniger als 1,5 Kilogramm Futter ein Kilogramm Fisch gewonnen werden kann, werden bei Huhn etwa 1,7 bis 2kg, bei Schweinen 2,7 bis 5kg und bei Rindern 6 bis 10kg Futter für ein Kilo Zuwachs benötigt. Doch funktioniert dieser Vorteil von Fisch als Nahrungsquelle nur, wenn dann tatsächlich weniger tierische Produkte wie Fleisch, Käse oder Milch konsumiert werden.

Bakterien helfen bei den Ausscheidungen

Und was ist mit den Nährstoffen im Wasser? Herkömmliche geschlossene Anlagen haben nämlich einen hohen Wasserverbrauch, weil die Tiere nicht in ihren eigenen Ausscheidungen leben können. „Die Nährstoffe, die von den Fischen im Wasser produziert werden, gehen bei uns nicht ins Abwasser, sondern wir können damit Nutzpflanzen produzieren“, sagt Professor Palm. Hier kommt langsam das Gewächshaus ins Spiel. Die Fischabwässer werden nämlich in einem sogenannten Biofilter aufbereitet. Das Wasser fließt zunächst in einen Tank, in dem viele schwarze und weiße Plastikbrocken schwimmen. Auf diesen sind Bakterien angesiedelt, die aus schädlichem Ammonium im Wasser zunächst Nitrit und anschließend für die Fische unschädliches Nitrat machen. Und das kann auch gleichzeitig als Pflanzendünger verwendet werden.

Diese Bakterien sind auch der Grund, weshalb in solchen Anlagen keine Antibiotika verwendet werden. Denn diese würden die kleinen Helferlein töten. Durch sie kann das Wasser aber wieder zurück zu den Fischen fließen, oder eben für den Anbau von Pflanzen genutzt werden. Dieses Konzept heißt Aquaponik, also Düngung durch Aquakultur.

Professor Harry Palm erklärt dem Reporter das Aquaponik-Gewächshaus.

Im Aquaponik-Gewächshaus wird untersucht, wie die unterschiedlichen Pflanzen mit dem Fischwasser klarkommen. Bild: © Vincent Köller

Über Rohre wird das Wasser in den anderen Teil des Gewächshauses geleitet. Hier stehen auf Tischen verschiedene Pflanzen, an denen das Team um Professor Palm Experimente durchführt. Dabei wird das Fischwasser aus dem vorherigen Schritt auf die Tische gepumpt, um die Pflanzen zu wässern und zu düngen. Die Entwicklung der Pflanze wird dann mit der Entwicklung der gleichen Pflanze unter normalen Düngebedingungen verglichen, um zu schauen, wie sie mit dem Fischwasser klarkommen. Die Ergebnisse zeigen laut Professor Palm, dass es eine Vielzahl an Kräutern und Gemüsesorten gibt, die mit dem Fischwasser klarkommen. Durch den Aufwand mit den Fischtanks ist das Gemüse aber häufig deutlich teurer als die Konkurrenz aus dem normalen Gewächshaus. Deshalb liegt der Fokus der Forschung auf eher teureren Kräutern wie der Wasabi-Rauke. Stellen sich solche Pflanzen als geeignet heraus, geben die Forscher*innen ihre Empfehlungen auch an Aquaponik-Betriebe weiter.

Innovatives Konzept, aber mit Einschränkungen

Neben den Ausscheidungen der Fischen scheinen die Forscher*innen auch das Problem des Fischfutters basierend auf Fischöl und Fischmehl  auf dem Zettel zu haben, allerdings weniger konsequent. Zum Beispiel könnten Wasserlinsen die Restnährstoffe aus dem System entfernen, erklärt Professor Palm: „Und solche Wasserlinsen können dann Futtermitteln beigefügt werden.“ Auch die Forschung an Insekten als Futtermittelersatz werde betrieben. Hier zeigen die Ergebnisse, „dass wir noch nicht zu 100%, aber prozentual schon Fischmehl durch Insektenmehl tauschen können“, so Professor Palm. Die Fische werden zum größten Teil also weiterhin mit klassischem Fischfutter gefüttert, da die Afrikanischen RAUBwelse keine Vegetarier sind. Und wie wir bereits besprochen haben, lohnt es sich, hier genau hinzuschauen, ob das Futter von nachhaltig befischten Arten stammt.

Nahaufnahme einer Box, in der kleine grüne Wasserlinsen auf einer Wasseroberfläche schwimmen.

Diese Wasserlinsen können Futtermitteln beigemischt werden. Bild: © Vincent Köller

Beim Thema Futter gibt es also noch Verbesserungsbedarf. Und auch zum Aspekt des Tierwohls ist eine abgeschlossene Haltung schwierig. Für Professor Palm gibt es da kein Problem, weil diese Fischart an die Bedingungen angepasst sei und das Tierwohl streng überwacht werde. Trotzdem sind vielleicht andere Perspektiven der Tierethik hier etwas kurz gekommen.

„Jeder dieser Prozesse ist kompliziert und wenn Sie die biologischen Parameter der unterschiedlichen Organismen berücksichtigen, wird es nochmal komplizierter“

Was die Aquaponik aber gut in den Griff bekommt, ist die Herausforderung der übermäßigen Nährstoffe im Wasser und auch die potenzieller Antibiotika. Hier gibt es viele Möglichkeiten, Kreisläufe wieder zu schließen. Professor Palm fasst das Konzept so zusammen: „Die Aquaponik ist im Grunde ein wesentlicher Bestandteil einer Kreislaufwirtschaft. Jeder dieser Prozesse ist kompliziert und wenn Sie die biologischen Parameter der unterschiedlichen Organismen berücksichtigen, wird es nochmal komplizierter.“

Das Gewächshaus an der Universität Rostock von außen.

Das Gewächshaus mit den Pflanzen und die Tanks mit den Fischen sind direkt miteinander verbunden. Bild: © Vincent Köller

Wie die Wildfischerei nachhaltiger wird

Nachhaltigere Aquakultur ist also möglich, indem zum Beispiel auch vom Lachs auf den Afrikanischen Wels umgestiegen wird. Und auch nachhaltige Wildfischerei scheint möglich, wenn man Valeska Diemel vom BUND zuhört. Dafür braucht es jedoch Veränderungen. Eine Idee geht das angesprochene Fischereimanagement an. Ein sogenanntes ökosystembasiertes Fischereimanagement würde all die Wechselwirkungen und Konkurrenzen, sowie die äußeren Einflüsse einbeziehen, die aktuell noch nicht berücksichtigt werden. Der zweite Vorschlag sind tiefgreifende Meeresschutzgebiete und Schutzzonen. „Wir brauchen Ruhe- und Erholungszonen für die Fische, in denen die Menschen nicht das ganze Jahr rumfuschen“, fordert Valeska Diemel. Hier könnten die Fische heranwachsen, wovon im Gegenzug sogar die Fischerei profitieren könnte, wenn wachsende Populationen sich über die Schutzzonen hinaus ausbreiten.

Fisch ist also nicht per se schlecht, aber wie wir Fisch aktuell nutzen, ist nicht unbedingt nachhaltig. Überfischung und die Auswirkungen offener Aquakulturen sind Probleme, denen wir uns stellen müssen. Und dabei haben wir noch nicht darüber gesprochen, wie die Fangmethoden durch Beifang zum Beispiel ebenfalls die Ökosysteme schädigen oder ein Großteil des Plastikmülls in den Meeren aus der Fischerei stammt. Geschlossene Aquakulturen mit Nährstoffkreisläufen wie die Aquaponik können hier eine Lösung des Problems sein, um Druck von den Fanggebieten zu nehmen. Dabei lohnt es sich dann auch, auf andere Fischarten zurückzugreifen. Denn die beliebtesten Meerestiere Lachs, Thunfisch oder Garnelen sind nicht lokal und ihr Fang erzeugt woanders auf der Welt Probleme. Das heißt aber nicht, dass die Probleme nur abseits des Meers gelöst werden sollen. Generell müssen wir die Fischereipolitik und die Umsetzung von Regeln angehen. Denn eine nachhaltige Nutzung der wertvollen Ressource ist möglich. Und alternativ sind vielleicht auch andere Produkte aus dem Meer, wie Muscheln oder Algen als Nahrungsquelle interessant, wie ein Ocean-Summit-Beitrag von Mats zeigt.

Text: Elias Tetzlaff