Karen Hissmann: Vom Ruhrgebiet zu den Quastenflossern in die Tiefsee

Die GEOMAR-Meereswissenschaftlerin Karen Hissmann ist am 29.04.2022 bei der Lesung zum Buch „Die Tiefseetaucherin“ des Katapult-Verlags zu Gast. Die Veranstaltung richtet sich insbesondere an Kinder und Familien und ist kostenfrei.

Karen Hissmann hat viele Forschungsfahrten im bekannten U-Boot „Jago“ unternommen und die tiefen Unterwasserwelten aus nächster Nähe kennengelernt.  Wie ihr Weg sie dorthin geführt hat und welchen Wunsch sie für das Leben unter Wasser hat, erzählt sie dem Ocean Summit im Interview.

JAGO © JAGO_TEAM_GEOMAR

Frau Hissmann, für die meisten Menschen bleibt eine Reise in die Tiefsee ihr Leben lang ein weit entfernter Traum, ähnlich unwahrscheinlich wie eine Reise zum Mond. Anders bei Ihnen. War „Tiefseeforscherin“ schon immer ein Traum von Ihnen – und wie war es dann, als Sie das erste Mal wahrhaftig abgetaucht bist?
Dass mein Arbeitsgerät mal ein Tauchboot sein würde, mit dem ich in Tiefen tauchen würde, wo man mit einer Tauchflasche nicht mehr hinkommt, habe ich mir natürlich im Traum nicht vorstellen können als Kind oder als junge Erwachsene nach der Schule.

Ich war schon immer gerne in der Natur unterwegs, auf Entdeckungs- und Beobachtungspirsch. Aufgewachsen bin ich im Ruhrgebiet, also weit weg vom Meer. Und Biologie habe ich dann in Freiburg studiert, also auch nicht am Meer. Eigentlich wollte ich Wildtierbiologin werden, eine Wissenschaftlerin also, die sich mit den größeren Tieren, die zum Beispiel im Wald leben beschäftigt, Tiere wie Marder, Füchse, Dachse, Rehe und Vögel wie Greif- und Singvögel.

JAGO und Schlauchboot auf offenem Wasser / Foto © Karen Hissmann, GEOMAR

Doch dann traf ich in Bayern an einem Forschungsinstitut den Meeresbiologen Hans Fricke, der mit einem kleinen Team das Verhalten und die Lebensweise von Tieren im Meer erforschte. Zusammen mit dem Techniker und Tauchboot-Piloten Juergen Schauer haben wir dann das Tauchboot JAGO gebaut, um mit ihm in größere Wassertiefen zu gelangen. Damals haben wir nämlich einen Fisch erforschen wollen, der ganz versteckt in größeren Meerestiefen lebt, den Quastenflosser.

„Dass mein erster Tauchgang sogar eine Begegnung mit einem Ur-Fisch sein würde, hat mich dann völlig in den Bann dieses Lebensraumes gezogen.“

Was macht diese Quastenflosser so besonders?
Der Quastenflossler gehört zu einer Fischgruppe, die es schon vor 400 Millionen Jahren auf der Erde gab. Das wissen wir aus Fossil-Funden. Und vor 70 Millionen Jahren, so glaubten die Wissenschaftler damals, sei die Gruppe dann ausgestorben – also ungefähr, als die Dinosaurier auch ausstarben. Dann hat man 1938 jedoch zufällig ein lebendes Exemplar dieser Fischgruppe vor Südafrika gefangen. Und diesen Fisch, der wissenschaftlich Latimeria chalumnae heisst, haben wir dann mit dem Tauchboot JAGO im Indischen Ozean vor der Ostafrikanischen Küste erforscht.

Wie ist es, dann selbst in einem U-Boot zu sitzen?
Meinen ersten Tauchgang mit JAGO habe ich tatsächlich dort gemacht, wo eine grosse Gruppe von Quastenflossern auch heute noch lebt: vor den Komoren-Inseln mitten im Westlichen Indischen Ozean. Vor dem Abtauchen ist man natürlich immer etwas aufgeregt – aber eher aus Entdecker-Neugierde. Wir sind oft in Unterwassergegenden abgetaucht, in denen vorher noch nie jemand war. Und das ist unglaublich spannend.

Dass mein erster Tauchgang sogar eine Begegnung mit einem Ur-Fisch sein würde, hat mich dann völlig in den Bann dieses Lebensraumes gezogen, der für den Menschen so schwer zugänglich ist. Im Meer mag ich am liebsten die Region, die an der Grenze zwischen Stockfinsternis und Dämmerlicht liegt. Das ist meistens nahe an den Hängen der Kontinentalränder. Und da kommt man am besten mit einem Tauchboot und einem Forschungsschiff hin.

Verraten Sie uns einen Moment tief unten im Meer, der Sie besonders berührt oder erstaunt hat?
Jede Begegnung mit den Lebewesen im Meer ist für mich beeindruckend. Ganz besondere Momente sind für mich solche, wo Tiere auch für uns, die wir im Tauchboot sitzen, Neugierde zeigen. Das war zum Beispiel ein sehr größer Quastenflosser – die Fische können bis zu zwei Meter lang werden – der dicht mit seinem Kopf an das Tauchbootfenster kam und seine grossen türkisfarbenen Augen hin- und herrollte, als ob er uns im Inneren genau betrachten wollte.

JAGO / Foto © Karen Hissmann, GEOMAR

Ganz berührt war ich auch jedes Mal, wenn unser Pilot Juergen beim Tauchen durch die Wassersäule im Stockfinsteren alle Lampen und Motoren ausgestellt hat, und wir mit dem Tauchboot wie in einer Luftbase durchs Wasser schweben.

Es ist dann völlig still und vor dem Fenster tanzen die Plankton-Tiere, die Licht aussenden können. Wir sehen in der Finsternis nur ihre Lichtblitze. Das sieht aus wie ein sich bewegender Sternenhimmel. Ich habe mich dann jedes Mal ganz klein gefuehlt, wie ein Teil dieser riesigen Wassermasse und war unendlich dankbar, dass ich sie besuchen durfte.

„Ich wünsche mir, dass wir Menschen endlich mit mehr Respekt und Ehrfurcht mit dem Leben auf unserem wunderbaren Wasserplaneten umgehen“

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten für die Tiefseeforschung der nahen Zukunft, welcher wäre das?
Mein größter Wunsch ist, dass alle Lebewesen auf unserem Planeten, nicht nur die in der Tiefsee, von uns das selbe Lebensrecht eingeräumt bekommen wie wir Menschen. Das heisst, dass ihr Leben genauso schützenswert ist wie unser eigenes menschliches Leben. Und wir endlich aufhören, ihre Lebensräume zu zerstören und rücksichtslos auszubeuten.

Bunte Kaltwasserkorallen aus dem Mittelmeer / Foto © JAGO_TEAM_GEOMAR

Im Meer und besonders in den größeren Tiefen gibt es so viele Lebewesen, von denen wir noch gar nicht wissen, wie sie leben. Auch sie gefährden wir z.B. durch Verschmutzung und Tiefseeölbohrungen, ohne dass wir sie kennen! Ich wünsche mir, dass wir Menschen endlich mit mehr Respekt und Ehrfurcht mit dem Leben auf unserem wunderbaren Wasserplaneten umgehen. Die meisten Lebewesen brauchen uns nicht zum Überleben, aber wir brauchen vielen von ihnen – wie zum Beispiel die Fische, die wir essen, oder die Korallenriffe, die vor den Küsten die grossen Wellen brechen und so unserer Siedlungen schützen.

Karen Hissmann ist am 29.04.2022 bei der Lesung zum Buch „Die Tiefseetaucherin“ des Katapult Verlags zu Gast. Die Veranstaltung im Hörsaal des GEOMAR Kiel richtet sich insbesondere an Kinder und Familien und ist kostenfrei.