Astrid Korth

Ehrenamtliche Bürgermeisterin Insel Pellworm

>> Früher gab es immer die Tendenz, dass das Nationalparkamt die Menschen hier bestimmen wolle, ihnen etwas verbieten oder überstülpen wolle. Das wollte man nicht, man wollte seinen eigenen Lebensraum nicht beschneiden lassen. Doch letztendlich ging es für uns darum, dass wir für die Zukunft der nächsten Generation eine Möglichkeit haben, uns darauf zu konzentrieren, wie wir in diesem Naturraum bestehen wollen – als Teil dieses Raumes. <<

Meeresmenschen-Audios

Darum geht´s: Kommunalpolitik, lokale Wirtschaftskreisläufe, Insellleben, Nationalpark, Landwirtschaft

Hört rein, was Astrid Korth zur ärztlichen Versorgung auf der Insel, zur Biosphäre und zu Pellwormer Projekten zu sagen hat:

Meeresmenschen Talk Astrid Korth: Nachhaltiges Pellworm – ein Teil des Ganzen und dennoch selbtsbestimmt

Stell Dich doch einmal vor. Wer bist Du und was machst Du?

Mein Name ist Astrid Korth. Ich werde wahrscheinlich hier befragt als Bürgermeisterin.

Mit welchen Problemen sind die Menschen auf der Insel konfrontiert?
Die Inseln um Pellworm herum werden nach und nach aufgekauft. Von Amrum, Föhr und Sylt kennen wir das schon, dass Menschen die vom Festland kommen und dort gut verdient haben, Preise bezahlen die viele sich nicht leisten können. Gerade die jungen Leute von hier können sich diese Preise nicht leisten.

Welchen Herausforderungen müssen sich die Inselbewohnerinnen und Bewohner generell noch so stellen?
Wir benötigen einen neuen Arzt auf Pellworm. Früher hatten wir hier ein Ehepaar, das die Arztpraxis führte. Doch dann starb die Frau, dann ging der Mann in Rente und nun finden wir einfach keinen Nachfolger. Die 24-Stunden-Dienste und dazu die Abgeschiedenheit der Insel wirken auf die Meisten befremdlich. Sollte es einen Notfall geben, kommt der Hubschrauber oder die Fähre und solange ist man auf sich allein gestellt.

Jetzt sind wir so weit, dass wir ein Ärztezentrum hier errichtet haben. Zwei Ärzte sind dann fest auf der Insel und teilen sich die Dienstzeiten im Sechs-Wochen-Rhythmus. Doch jetzt hat auch schon eine Ärztin wieder gekündigt, sodass wir wieder mit Vertretungskräften arbeiten müssen. Zumal bei jedem Bewerbungsgespräch nach einem Haus gefragt wird, welches von der Gemeinde gestellt werden soll. Das Problem ist, dass die Gemeinde kein Haus hat und auch kein Geld, eines zukaufen. So erschwert sich die Suche nach einem neuen Arzt enorm.

Neben all den infrastrukturellen Hürden, wie begegnet eine Insel den ebenso akuten Nachhaltigkeitsthemen dieser Zeit?
Die Halligen und das Wattenmeer um uns herum sind eine Biosphäre. Wir wollten uns dem anschließen. Weil wir uns als Insel Pellworm bewusst sind, dass wir in einem Biosphärengebiet, nämlich dem Wattenmeer, leben. Das war unser ganz eigener Beschluss, wir bekommen dazu keine speziellen Fördergelder oder ähnliches.

Früher gab es immer die Tendenz, dass das Nationalparkamt die Menschen hier bestimmen wolle, ihnen etwas verbieten oder überstülpen wolle. Das wollte man nicht, man wollte seinen eigenen Lebensraum nicht beschneiden lassen. Doch letztendlich ging es für uns darum, dass wir für die Zukunft der nächsten Generation eine Möglichkeit haben, uns darauf zu konzentrieren, wie wir in diesem Naturraum bestehen wollen – als Teil dieses Raumes. Denn das Wasser ist nun mal da.

Gleichzeitig muss man schauen, was kommt dann von außen auf uns zu, was können wir machen, was haben wir für ein Mitgestaltungsrecht?

Dieses Konstrukt ist so, dass wir uns als Entwicklungszone hier drin sehen, und da geht es hauptsächlich um den Menschen. Nicht nur darum, wie sich das Meer und das Wattenmeer entwickelt, sondern wie sich der Mensch in dieser Entwicklungszone praktisch gestalten und mit dieser Zone zusammen existieren und leben kann. Wir können ja nicht gegen unsere eigene Natur arbeiten.

Welche Maßnahmen ergreift Ihr dazu konkret?
Wir haben vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe gegründet mit Personen, die sich aufgrund ihrer Interessenlage mit dem Projekt Biosphärenreservat auseinandersetzten. Recht schnell hatten wir ein Konzept aufgestellt, welches zukunftgerichtet die Insel und deren Werdegang beschreibt. Ein Beispiel für solche Themen sind die Gruppen „Insektenfreundliche Insel“ oder die der „Inselfleischerei“.

Was steckt hinter „Inselfleischerei“?
Zurzeit werden die Tiere noch abgeholt und auf dem Festland geschlachtet. Die Tiere könnte man auch hier aufziehen, dann vor Ort schlachten und hier lokal verkaufen. Gerade das Angebot von lokalen Erzeugnissen ist uns dabei sehr wichtig. Die Menschen, die hierherkommen wollen, ja kein australisches Lamm essen, sondern etwas, was typisch für unsere Insel ist und hier erzeugt wurde.

Was gibt es noch?
Ein weiteres Projekt ist unsere Kinogruppe. Früher gab es hier mal ein Kino, welches sich leider nicht hielt. Jedoch ist der Wunsch von Jung und Alt nach Kulturangeboten noch immer da, sodass wir diese Gruppe gegründet haben. Nun hat die Gruppe schon viele schöne Kulturveranstaltungen geleitet. Als der Film „Chocolat“ gezeigt wurde, wurden Pralinen gemacht und als ein indischer Film gezeigt wurde, hat die Gruppe dazu indisch gekocht. Also ein lebendiger Austausch mit Essen, Film und anschließender Diskussionsrunde steht bei uns im Fokus. Denn wie sollen wir denn junge Leute für unsere Insel begeistern, wenn es kein Freizeitangebot gibt?

Also ist auch das für uns eine Biosphärengruppe. Denn man fragt sich: Wie können die Menschen hier in diesem Raum, in dieser Blase, gemeinsam daran arbeiten, es hier lebenswert zu machen?

Auch haben wir eine Mensagruppe. Vor eineinhalb Jahren wurden der Kindergarten und die Grundschule renoviert und angedockt. Das Thema „Offene-Ganztagsschule“ kam auf, da viele Eltern arbeiten und ihre Kinder nicht zu den Zeiten abholen konnten. Dann stellte sich die Frage, wie die Kinder essenstechnisch versorgt werden, sodass wir zu der offenen Ganztagsschule noch eine Mensa eröffneten, die jeden Tag frisch kocht.

Daraufhin hatte sich eine Mensagruppe gebildet, die vor dem Gebäude einen Garten mit Kräutern und Obst bepflanzen. Die Mensa und die Gruppe kamen so gut an, dass aus zwölf angedachten Kindern nun 60 Kinder geworden sind. Die Frauen, die diese Gruppe und den Garten leiten, brennen dafür. Selbst der Hausmeister hilft tatkräftig mit. Das Ganze wurde nun auch mit einem Preis belohnt, sodass wir für die nächsten zwei Jahre Gelder bereitgestellt bekommen, um Menschen für die Umwelt zu schulen. Das ist wirklich wunderbar, da wir zusammen was schaffen. Sonst säßen viele der Frauen vielleicht alleine zuhause, aber so hat man ein Ziel und erreicht etwas.

Wo ist Dein Lieblingsort auf der Insel?
Ich bin am liebsten hier an der Ostküste von Pellworm.

WEITERLESEN:
https://www.gemeinde-pellworm.de/projekte/biosphaere

Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 14.07.2021. Zur besseren Lesbarkeit wurde das Interview teilweise gekürzt, strukturiert und redigiert.