Karen Helen Wiltshire

Stellvertretende Direktorin des Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung // Leitung AWI Helgoland und AWI Sylt

>> Wir haben mit der Nordsee ein sehr dynamisches System, was es noch viel schwerer macht, über Dekaden konkrete Aussagen zu machen. Das Einzige, was man wirklich ganz klar sagen kann, ist: Das System verändert sich rasend schnell und der Mensch wird seine Schwierigkeiten haben, sich da anzupassen. <<

Meeresmenschen-Audios

Darum geht´s: Forschung, Klimawandel, Wattenmeer, Küstenschutz

Hört rein, was Karen Helen Wiltshire zu den Aufgaben des AWI, zu Küstenschutz und der Besonderheit der Nordsee zu sagen hat:

Meeresmenschen-Talk Prof. Dr. Karen Wiltshire: Von Inseln und Küsten im Wandel

Bevor wir starten: Wer bist Du und was machst Du?

Ich bin Karen Wiltshire und ich leite die Küstenforschung am AWI, ich bin Vizedirektorin am AWI und bin besonders für die Inselstationen zuständig hier. Jetzt auch vor Ort für Sylt für die Wattenmeer Station aber auch für die Küstenforschung auf Helgoland und in Bremerhaven und allgemein.

Was genau sind die Aufgaben des Alfred-Wegener-Instituts?
Wir versuchen zwei große Schwerpunktfelder zur verfolgen. Zum einen möchten wir die großen Zukunftsfragen zu beantworten: Wo werden wir sein mit dem Klimawandel, dem Meeresspiegelanstieg und der Erwärmung? Und wohin führt dieser wahnsinnige Druck, den wir auf die Küstensysteme verspüren? Das sind ja teilweise die meist genutzten Areale der Welt. Wo werden wir dort in zehn oder zwanzig Jahren stehen? Wie wird die Natur dann aussehen, wie müssen wir uns aufstellen?

Auf dem anderen Schwerpunk stehen Fragen wie: Wie kommen wir dahin, uns neue Wege aufzuzeigen, Lebensräume so zu managen, dass unsere Zukunft noch etwas davon hat? Ein ganz großes Beispiel hierfür liegt vor unserer Haustür – das Wattenmeer.

Viele unserer Arbeiten und Ansätze basieren auf Langzeitwissen. Die Stationen Sylt und insbesondere Helgoland gehören zu den ersten Meeresforschungsinstituten der Welt, Helgoland ist das zweitälteste der Welt. Wir haben daher Daten aus diesen Zeiten – ob es nun Daten zu Fischbeständen sind, oder zu physikalischen Parametern wie Temperatur und Salz. Und somit wissen wir, wie der Zustand vom Meer sich mit der Zeit verändert hat. Das ist ein kostbares Gut, denn wenn man das nimmt, dann kann man sagen, ich gehe in die Vergangenheit, um Dinge für die Zukunft abzuleiten. Und in diesem Block befinden wir uns gerade, wo wir aus unserem Wissen heraus Lösungsvorschläge gestalten müssen.

Was für konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet Ihr?
Zum Beispiel für das Abtragen des großen Weststrandes hier auf Sylt und die ganzen Meeresspiegelanstiegsfragen, die wir bisher noch nicht so gut kennen in Deutschland, zum Beispiel die Sedimenttransportwege. Das sind so Dinge, wo wir zum Beispiel helfen können. Also wo wir sagen können:  „Da müsste zum Beispiel eine Buhne weg“, oder „Da sollte kein Sand mehr rausgeholt werden für die Sandvorspülung“, oder „Da ist ein schützenswertes Habitat wie zum Beispiel eine Seegraswiese, da sollte man in der Nähe keine Küstenschutzmaßnahme durchführen“. Bei all solchen Dingen werden wir in die Gremien mit reingeholt, um zu beraten, wie wir dieses kostbare Gut, wie wir dieses Biosphärenreservat langfristig schützen können.

Die Frage des Meeresspiegelanstieges ist ja hier sehr wichtig, denn wir haben auf der einen Seite Festland am Deich und Sylt selbst ist durch große Strukturen auch geschützt ohne Ende – doch dazwischen liegt das Wattenmeer. Und das ist wie eine große Badewanne, wo soll denn das Wasser hin? Wir werden jetzt Abschätzungen machen zu der Frage, wie viel Watt wird noch frei fallen, wenn wir dort immer mehr Wasser haben, dann ist die Menge an Watt, die frei läuft, immer weniger.

Und da müssen wir nun Antworten zu bringen und das ist hochkomplex. Da muss man wissen, wie das Wasser hier rein und raus läuft, welche Einflüsse Tidegänge, Topographie oder Deichstrukturen haben, dies berechnen und mit einbeziehen. Da sitzen wir gerade mittendrin, um dann sagen zu können: Wo muss man handeln und wo eher nicht?

Das andere ist, wir erforschen die Anpassung von Arten zur Erwärmung.  Wir versuchen aus unseren Langzeitdaten zur Artenvielfalt herauszubekommen, ob wärmeliebende Arten, die hier schon eingewandert sind, unsere heimischen Arten verdrängen werden. Auch das sind große Themen. Der Dorsch ist ja beispielsweise schon abgewandert in nördlichere Gewässer, weil es in der deutschen Bucht zu warm geworden ist. Genauso wie der Dorsch abgewandert ist, gibt es Arten die von Süden hinzugekommen sind, und weil es wärmer geworden ist, die Winter überstehen, unter anderem die Pazifische Auster.

Foto © Barbara Dombrowski

Die Pazifische Auster wird hier gezüchtet und man hat immer gesagt, wenn die mal ausbüchst, dann wird sie die Winter eh nicht überstehen. Nur sind die Winter nun so warm geworden, dass die Pazifische Auster ja hier fast eine heimische Art geworden ist. Das Gleiche gilt für ganz viele andere, wärmeliebende Arten. Und man fragt sich: Ist das jetzt eine Konkurrenz, die entsteht zwischen heimischen und nichtheimischen Arten? Wie verändern sich die Nahrungsnetze? Denn die Nahrungsnetze haben wirklich was mit der Produktivität der Systeme zu tun, sie beeinflussen zum Beispiel auch unsere kommerzielle Fischerei.

Am Ende ist es immer eine Frage für den Mensch: Haben wir da Nutzen von – also Nutzen wie eine Naturlandschaft wie das Wattenmeer und der Tourismus oder tragen wir noch mehr Schaden davon, wenn sich das alles so verändert? Wir Biologen schauen natürlich nicht nur auf die menschliche Seite, sondern auf die Artenvielfalt an sich und die Interaktion der verschiedenen Organismen.

Was ist das Besondere an der Nordsee?
Im Vergleich zur Irischen See, die ja sehr sehr tief ist, ist die Nordsee eigentlich nur ein Teich, der vom Atlantik dominiert ist. Das wissen wir nur, weil wir mit anderen Expert*innen zusammen arbeiten, das ist der Vorteil der Konstellation Küstenforschung, Polar- und Meeresforschung in einem Institut.  Was ganz wichtig ist:

Die Nordsee ist nur 8000 Jahre alt und ist immer genutzt wurden. Die Nordsee wurde teilweise schon von den Römern überfischt. Sie ist noch nie in einem Status Null gewesen. Zu Anfang war die Nordsee ein riesiges Flussmündungssystem. Es war alles Marschland. Und als die Eismassen schmolzen und dazu ein riesiger Tsunami kam, ist die Nordsee vollgelaufen mit Salzwasser. Und wir reden hier von tausenden Jahren.  Und die Arten sind auch schon damals von Süden aus eingewandert.

Wir haben mit der Nordsee also ein sehr dynamisches System, was es noch viel schwerer macht, über Dekaden konkrete Aussagen zu machen. Das Einzige was man wirklich ganz klar sagen kann, ist: Das System verändert sich rasend schnell und der Mensch wird seine Schwierigkeiten haben, sich da anzupassen.

Und zudem muss man drüber nachdenken, dass Deutschland mehr Deiche hat als jedes andere Land. Wir haben uns schon seit zweihundert Jahren geschützt, es ist im positiven Sinne irre, was wir hier haben an Küstenschutz. Wir haben so eine Angst vor Wasser, dass wir so einen ausgeprägten Küstenschütz haben. Küstenschutz gehört also auch in unsere Denke hinein, denn er ist unausweichlich. Denn wir Menschen wollen uns schützen, wir wollen hier an der Küste leben, denn es ist gut hier.

Aber diese Küstenschutzmaßnahmen beeinflussen auch unsere Systeme. Aber die sind so dynamisch und komplex aufgestellt, das ist nicht wie die Atlantikküste vor Nordirland. Da ist kein Küstenschutz, weil da keine Häuser sind. Also die Nordsee ist sehr dynamisch, da ist kein Status Quo.

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Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 01.08.2022. Zur besseren Lesbarkeit wurde das Interview teilweise gekürzt, strukturiert und redigiert.