Jennifer Timrott am Strand mit einem Bollerwagen voll Müll

Meerspektive: Meeresschützerin Jennifer Timrott

Innerhalb der Reihe „Meerspektiven“ stellen wir Euch vielseitige Berufe und Berufungen rund um die Meere vor. Egal ob eine Ausbildung, ein Studium oder ein Quereinstieg den Weg dorthin ermöglichen kann, egal ob große Karriere oder nebenberufliches Engagement, Ehrenamt oder Hauptjob. Wer möchte, findet viele Wege zu Meer. Dazu möchten wir Euch mit unseren Interviews und Infos inspirieren. Im folgenden Interview lernt Ihr die Meeresschützerin Jennifer Timrott von „Küste gegen Plastik“ kennen. Viel Spaß mit dieser Meerspektive!

Moin Jennifer, freut uns, dass du Zeit für dieses Interview gefunden hast. Stell dich unseren Leser*innen doch bitte einmal vor.

Ich bin Jennifer vom Verein Küste gegen Plastik. Ich habe den Verein 2014 mitgegründet, bin im Vorstand aktiv und leite zusammen mit einem Kollegen unsere Kampagne ReplacePlastic: Mit der Smartphone-App gegen die Plastikflut.

Welche Bedeutung hat das Meer für dich?

Ich fühle mich besonders mit dem Wattenmeer sehr verbunden. Es ist ein enorm lebendiger Lebensraum im ständigen Wandel. Ich finde es hier besonders gut erfahrbar, ein Lebewesen im Kontext vieler zu sein – sichtbar, oder unsichtbar.

Wie ist es dazu gekommen, dass das Meer eine so große Rolle in deinem Leben spielt?

Ich habe Urlaub auf einer Hallig gemacht. Damals habe ich in einer Werbeagentur gearbeitet und eigentlich jeden Tag maximal unter Strom von morgens bis abends in einen Bildschirm geguckt. Die Hallig sollte das Kontrastprogramm sein, und war es auch. Ich habe in dem Urlaub kaum mal gesessen, weil es so viel Schönes und Lebendiges zu sehen gab. Später bin ich dort hingezogen, und habe natürlich schnell gemerkt, dass man auch mitten in der Nordsee super viel Stress haben kann. Aber das Gefühl für diese Verbundenheit mit der Natur und die Dankbarkeit dafür, das ist geblieben.

Auf einem grün bewachsenen Deich hat sich viel Plastikmüll gesammelt.

Nach Sturmfluten wird das Plastikproblem nochmal deutlicher. © Jennifer Timrott

Was bedeutet Meeresschutz für dich persönlich?

Lebensräumen und Zusammenhängen mit Zuneigung und Respekt zu begegnen. Und Zusammenhänge oft auch erstmal zu entdecken. Wir wissen ja noch sehr wenig, wie alles im Detail zusammenwirkt und kennen noch nicht einmal die ganze Vielfalt des Lebens. Viel davon wird von uns verdinglicht und in Dienst genommen, für Entwicklungen, von denen wir heute sehen, dass sie nicht gut für uns sind. Nicht für den Planeten und nicht für uns, denn wir sind ja ein Teil von dieser Lebendigkeit. Das bewusst zu machen und Schaden abzuwenden, ist mir wichtig

Gab es einen speziellen Moment, ein konkretes Erlebnis, das bewirkt hat, einen großen Teil Deines Lebens dem Schutz der Meere zu widmen?

Auf Hallig Hooge habe ich nach einer sehr schweren Sturmflut nicht mehr übersehen können, wie groß unsere Plastikkrise ist. Ich hatte zwar schon ein paar Jahre vorher versucht, möglichst auf Plastikverpackungen zu verzichten, aber ich habe mich so vereinzelt als macht- und wirkungslos erlebt. Wenn ich Natur fotografiert habe, habe ich länger versucht, das Problem nicht mit ins Bild zu bekommen, obwohl es immer an mir genagt hat. Nach der Sturmflut war klar, das kann für mich so nicht weitergehen. Wir müssen uns verbünden und über unsere individuellen Möglichkeiten hinaus auch daran arbeiten, dass sich systemisch etwas ändert. Dieser Wunsch hat zur Gründung des Vereins geführt. Später ist dann unsere ReplacePlastic-Kampagne daraus geworden. Im Zentrum steht eine Smartphone-App, mit der Kundinnen und Kunden per Barcode-Scan Unternehmen mitteilen können, dass sie mit Plastikverpackungen nicht einverstanden sind und sich Alternativen in den Läden wünschen. Ich bin überzeugt davon, dass wir gemeinsam viel bewegen können, und in unserer Kampagnenarbeit erleben wir das auch immer wieder. Auch wenn natürlich nicht jedes Unternehmen, das Verpackungen umstellt, dazu sagt, dass es auf Druck von Seiten der Kunden reagiert.

„Ich bin überzeugt davon, dass wir gemeinsam viel bewegen können, und in unserer Kampagnenarbeit erleben wir das auch immer wieder“

Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Dir als Meeresschützerin aus? Gibt es überhaupt sowas wie einen Alltag?

Die Datenpflege für die ReplacePlastic-App ist eine tägliche Routine. Es gibt ja unfassbar viele Produkte in Plastikverpackungen, die wir erfassen und verknüpfen müssen. Und es kommen jetzt zum Glück auch mehr und mehr Alternativen dazu, auf die wir in unserer App auch hinweisen. Das ist schon so ein Stück Alltag. Ansonsten ist die Arbeit aber auch herrlich bunt. Von Infoarbeit in Schulen und auf Festivals über Vorträge, Workshops und Müllsammelaktionen, bei denen wir immer wieder versuchen, zu zeigen, wie stark das Plastik in die verschiedensten Lebensräume vorgedrungen ist, und warum es so wichtig ist, diese Einträge zu stoppen.

Du hast im Bereich Kommunikation und Journalistik studiert. Hat dieser Hintergrund etwas damit zu tun, wie du deine Rolle im Bereich Meeresschutz siehst bzw. welche Schwerpunkte Du setzt?

Ich glaube, dass mir die Idee kam, dem Thema mit einer digitalen Kampagne und einer App zu begegnet, hat sicherlich etwas mit diesem beruflichen Hintergrund zu tun. Aber ich habe auch lange im Gesundheitswesen gearbeitet, und dort gelernt, aufmerksam für Lebensäußerungen und auch sehr kleine Veränderungen zu sein. So ist vielleicht alles zusammengeflossen. Im Moment studiere ich aktuell auch wieder – nämlich Ökonomie. Ich möchte noch besser verstehen, wie unsere Lebensweise und unsere Probleme zusammenhängen um besser auf vermeintliche Sachzwänge reagieren zu können. Damit wird, glaube und hoffe ich, der Hebel für unsere Arbeit noch größer.

Eine Verpackung mit der App Replace Plastic gescannt

Mit der App ReplacePlastic lassen sich die Barcodes von Verpackungen scannen, um die Hersteller zum Umdenken anzuregen. © Jennifer Timrott

Du bist Mitbegründerin des Vereins Küste gegen Plastik e.V. Bitte beschreibe den Leser*innen: Wann und warum habt Ihr Euch gegründet?

Wir haben den Verein 2014 gegründet, als Menschen von der Küste, die nicht mehr hinnehmen, dass ihren der Plastikmüll am Meer buchstäblich vor die Füße fällt. Ein wichtiger Auslöser war für uns, zu erleben, welche enormen Mengen Plastik nach einer Sturmflut angespült wurden. Aber es war auch vorher schon nicht mehr zu übersehen. Plastik im Spülsaum ist mittlerweile leider alltäglich. Manchmal größere Teile, oft auch winzig kleine.

Was sind eure Aufgaben als Verein und welche Ziele habt ihr?

Wir kämpfen gegen die Einwegplastikflut, weil wir sehen, dass Verpackungen einen großen Teil des angespülten Plastikmülls ausmachen. Das Verrückte ist, dass Verpackungen, die wir oft nur ganz kurze Zeit gebrauchen, ewig halten und sich in der Natur nicht zersetzen. Mein Kollege hat neulich einen Teil von einer Plastikflasche gefunden, bei der auf dem Boden das Jahr 1961 eingeprägt ist. Wir haben in unserem Vereinsbüro mittlerweile schon ein richtiges kleines Museum mit Verpackungen, die zum Beispiel Ablaufdaten von 1970 oder 1974 haben.

Wieviel Menschen engagieren sich in Eurem Verein?

Wir haben um die 200 Mitglieder, die meisten unterstützen uns mit einer Fördermitgliedschaft. Die Aktiven sind ungefähr 10. Und in der ReplacePlastic-Kampagne arbeiten wir aktuell mit drei Menschen.

Auf was, das Ihr mit Eurem Verein erreicht habt, seid Ihr besonders stolz und warum?

Wir sind ein sehr kleines Team, aber die ReplacePlastic-Kampagne ist richtig groß geworden. Darauf sind wir stolz, aber das ist auch das Verdienst der vielen Tausend Menschen, die tagtäglich die App in die Hand nehmen und Produktverpackungen scannen, um Unternehmen zu zeigen: wir wollen andere Lösungen. Gemeinsam bewirken wir was, das finde ich wichtig. Mittlerweile wurden schon fast 2 Millionen Scans eingesendet und 97.000 Mails an Unternehmen geschickt. Die antworten uns nicht immer sofort. Aber wenn sie Verpackungen umgestellt haben, dann schreiben sie uns meist ganz schnell. Und das sagt mir: Leute, dieses Feedback wird wahrgenommen und gibt die notwendigen Impulse für Veränderungen.

Mehrere alte Plastikflaschen an einem Strand, angespült vom Meer.

Bei ihrer Arbeit fallen Jennifer fallen auch die vielen Einweg-Plastikverpackungen auf, die im Meer Jahrzehnte überdauern können. © Jennifer Timrott

Gab es in der Vereinsarbeit auch Rückschläge und wie habt Ihr diese überwunden?

Naja, manchmal würde ich mir schon wünschen, die notwendigen Veränderungen würden viel schneller gehen. Besonders, weil wir hier an der Küste ja auch täglich erleben, dass der Plastikmüll viel Leid verursacht. Da muss ich mich in vielen Diskussionen mit Leuten oder Unternehmen, die das Problem in der Dringlichkeit noch nicht auf dem Radar haben, ein bisschen zur Geduld zwingen.

Welche Pläne hast du noch für die Zukunft im Bereich Meeresschutz und mit dem Verein?

Wir wünschen uns noch viel mehr Verpackungsumstellungen und deutlich mehr Mehrweg bei den Produktverpackungen. Deshalb ist uns wichtig, Menschen zu zeigen: ihr bewirkt was. Ihr könnt auf diesem Weg Impulse geben und Bewegungen anstoßen. In Zukunft möchten wir Unternehmen, die interessiert an Veränderungen sind, aber für ihren Bereich den Weg noch nicht so sehen, noch mehr Mut machen und sie inspirieren, gemeinsam mit uns dranzubleiben. Toll wäre es auch, die ReplacePlastic-Kampagne in andere Länder zu bringen. Wenn wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz fast 2 Millionen Verpackungs-Scans gegen Plastik zusammenbekommen haben – wie viele könnten das dann wohl auf der ganzen Welt ein?

„Das ist ein systemisches Problem, deshalb muss auch die Lösung systemisch sein, nicht ausschließlich individuell“

Was möchtest du Menschen unbedingt mitgeben, wenn du mit ihnen über das Thema der Plastikverschmutzung sprichst?

Versucht, wo es möglich ist, auf Plastik zu verzichten. Aber frustriert euch nicht vollkommen, wenn es nicht immer klappt. Das ist ein systemisches Problem, deshalb muss auch die Lösung systemisch sein, nicht ausschließlich individuell. Wir müssen alle versuchen, verantwortungsvoll einzukaufen. Aber viele Entscheidungen sind auch schon gefallen, bevor wird als Kundinnen und Kunden unsere Wahl treffen können. Deshalb brauchen Unternehmen unser Feedback, und wenn wir das gemeinsam übermitteln, bewirken wir was!

Was bringt dich dazu weiterzumachen, wenn du so häufig mit dem Müllproblem konfrontiert wirst?

Die Alternative wäre ja, zu akzeptieren, dass die lebendige Vielfalt unseres Planeten immer mehr verschwindet. Das wäre mir definitiv viel zu traurig! Ich glaube auch, dass die Art und Weise, wie wir unser Leben leben, nicht in Stein gemeißelt ist. Dass es auch anders geht. Manchmal scheint alles ziemlich festgefahren. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass mit ein paar anfänglichen Lockerungsübungen Veränderungen schnell an Tempo gewinnen können. Daran wollen wir gern mitarbeiten.

In welchen Produktbereichen siehst du den größten Handlungsspielraum, auf Plastikverpackungen zu verzichten?

Für mich persönlich geht im Badezimmer viel. Ich finde es spannend, zu beobachten, was sich da in den vergangenen Jahren getan hat, mit all den festen Körperpflegeprodukten, die man jetzt in jedem Drogeriemarkt in großer Zahl bekommt. Und Mehrweg ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Weg von dieser irrsinnigen Wegwerferei die Dinge in echten Kreisläufen zu nutzen.

Siehst du in Bioplastics eine Möglichkeit, das Problem anzugehen?

Ein Müllhaufen vor einem Schild des Wattenmeer-Nationalpark

Das Plastikproblem kann sehr offensichtlich und frustrierend sein. Aber Jennifer findet, dass Aufgeben keine Alternative ist und das System dahinter verändert werden kann. @ Jennifer Timrott

Auf dem Gebiet gibt es ja sehr viele verwirrende Begriffe, da wünsche ich mir sehr die Pflicht zu einer viel klareren Kennzeichnung, damit wir als Kundinnen und Kunden die Chance bekommen, zu unterscheiden. Biobasierte Polymere, die sich in der Natur genauso wenig zersetzen, wie das klassische Plastik aus Mineralöl, sind aus meiner Sicht keine Lösung. Und sie stehen beim Anbau der Rohstoffe in Flächenkonkurrenz zum Nahrungsmittelanbau, was auch wieder neue Probleme schafft. Ich glaube, hinter dem Wunsch nach Bioplastics steht auch oft der Wunsch, mit diesem problematischen Einweggedanken einfach weitermachen zu können. Ich denke, wir sollten unsere Gestaltungskraft lieber daransetzen, diese Einwegidee schnellstmöglich zu beenden, weil sie abgehoben ist. Ich wünsche mir eine nahe Zukunft, in der Hersteller ganz genau und nachvollziehbar begründen müssen, warum sie nicht anders als in Einwegplastik verpacken können.

„Je mehr wir sind, desto lauter werden wir“

Wie können sich Menschen für den Meeresschutz engagieren und vor allem: Wie kann man die Arbeit von Küste gegen Plastik unterstützen?

Für das Thema Plastik und Meeresschutz finde ich einen ersten wichtigen Schritt, nicht daran vorbeizusehen. Mit anderen darüber zu sprechen, auch darüber, was man sich anders wünscht. Deshalb machen wir Müllsammelaktionen. Das Problem ist aber viel zu groß, als dass wir es in Säcke packen könnten, doch wir bekommen einen anderen Blick dafür, was draußen im Spülsaum liegt – oder im Supermarkt in unserem Einkaufswagen. Wenn wir beim Einkaufen oft nicht die Wahl haben, sollten wir das nicht hinnehmen, sondern Feedback geben. Wenn ihr also mit der ReplacePlastic-App Barcodes von Verpackungen scannt, die ihr euch ohne Verpackungen wünscht, bringt ihr auf vielen Ebenen etwas in Bewegung. Ihr ermöglicht uns, mit eurem Feedback auf die Unternehmen zuzutreten, in den Unternehmen gebt ihr wichtige Impulse, und wenn es dort Veränderungen gibt, übt das wiederum einen Sog auf andere Unternehmen aus. Jede Alternative, die an den Start kommt und sichtbar wird, bedeutet ja, dass die Plastikverpackung nicht alternativlos ist. Und je mehr wir sind, desto lauter werden wir. Also: mitmachen.

Die App ReplacePlastic von Küste gegen Plastik e.V. könnt ihr auf Apple– oder Android-Smartphones herunterladen. Durch das Scannen von Produktverpackungen, erhalten Jennifer Timrott und ihr Team eine Benachrichtigung und können den Wunsch nach einer alternativen Verpackung an die Hersteller weitergeben.

Interview: Elias Tetzlaff