Meerspektive: Muschelfarmer*innen am Kieler Tiessenkai
Innerhalb der Reihe „Meerspektiven“ stellen wir Euch vielseitige Berufe und Berufungen rund um die Meere vor. Egal ob eine Ausbildung, ein Studium oder ein Quereinstieg den Weg dorthin ermöglichen kann, egal ob große Karriere oder nebenberufliches Engagement, Ehrenamt oder Hauptjob. Wer sucht, findet zahlreiche Wege zum Meer. Dazu möchten wir Euch mit unseren Interviews und Infos inspirieren. Im folgenden Interview lernt Ihr Nikolai Nissen, Kristina Hartwig, Dr. Tim Staufenberger von der Kieler Meeresfarm kennen. Viel Spaß mit dieser Meerspektive!
Moin, Ihr Drei – Muschelfarmer*in, das klingt ja nach einem richtigen Erntejob, oder nicht? Inwiefern unterscheidet sich Euer Beruf von dem eines / einer normalen Farmer*in?
Da wir keine tiefergehenden Einblicke in die Landwirtschaft haben, können wir an dieser Stelle nur die naheliegendsten Punkte benennen:
Ein Unterschied liegt sicherlich in der Besonderheit unseres Produkts, also den Muscheln, deren Aufzucht nicht unbedingt so weit verbreitet ist wie beispielsweise die der landbasierten Viehzucht.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Methodik / Technik der Zucht, da wir den Muscheln lediglich einen Raum zum Leben und Wachsen bieten, aber kein Wasser, kein Futter und keine Medikamente geben. Unsere Muscheln leben auf unserer Farm genau so, wie sie in „freier Wildbahn“ auch leben würden, und haben bis zur Ernte auch jederzeit die Möglichkeit, die Farm zu verlassen und umzuziehen. Die Aufzucht erfolgt also sehr ressourcenschonend.
Der größte Unterschied besteht aber sicherlich in den Umgebungsbedingungen: Wir arbeiten auf dem Wasser.

Blick auf die Kieler Meeresfarm.
Ihr habt alle Drei ganz verschiedene Ausbildungen bzw. Studiengänge belegt. Was habt Ihr studiert bzw. wo habt Ihr Eure Ausbildungen gemacht?
Tim hat in Kiel Biologie und Meereskunde studiert und darin auch seinen Doktortitel mit dem Schwerpunkt Marine Mikrobiologie erworben. Zudem ist er Tauchlehrer und hat zusätzlich eine Ausbildung zum Forschungstaucher absolviert.
Niko ist ausgebildeter Speditionskaufmann und hat in Bremerhaven Maritime Technologien studiert.
Kristina ist examinierte Kinderkrankenschwester, Dipl.-Sozialarbeiterin / Sozialpädagogin und ebenfalls Tauchlehrerin.
Und wie seid Ihr dann zu dem Beruf des / der Meeresfarmer*in gekommen?
Tim hat während seines Studiums angefangen, bei ‚Coastal Research and Management‘ zu arbeiten. Dort hat er ein Projekt betreut, in dem es um die nachhaltige Nutzung der Meere ging, und in diesem Projekt wurde die Muschel- und Algenzucht aufgebaut. 2014 hat Tim dann die Erste Kieler Meeresfarm ausgegründet, die dann im letzten Jahr zur Kieler Meeresfarm GmbH & Co. KG wurde.
Niko ist zunächst als Erntehelfer zu Tim gekommen, hat dann im Laufe der Jahre immer mehr Tätigkeiten und Stunden übernommen und ist nun ebenfalls Inhaber der Kieler Meeresfarm GmbH & Co. KG.
Kristina ist auch als Erntehelferin eingestiegen, hat ebenfalls immer mehr Aufgaben und Stunden übernommen und ist nun die dritte Inhaberin der Kieler Meeresfarm GmbH & Co. KG.
Ich kann mir nur zu gut vorstellen, was für einen Stress Ihr in der Saison habt. Gibt es bei Euch Tage, an denen Ihr zu einer festen Zeit Feierabend machen könnt, oder seid Ihr in der Saison immer am Arbeiten?
Nun, Stress ist ja etwas, das im eigenen Kopf entsteht… Viel Arbeit und lange Arbeitstage zu haben, bedeutet ja nicht zwangsläufig Stress. Wir haben uns unsere Berufe bzw. unsere Arbeit ausgesucht und gestalten unsere Firma und unsere Arbeitsprozesse so, wie wir sie haben wollen. Sicherlich gibt es auch einmal Tage, an denen man nicht mehr ganz so gut weiß, wo einem der Kopf steht, das gehört aber wahrscheinlich einfach zum (Arbeits-)Leben dazu. Stress tritt eigentlich immer erst dann ein, wenn die Dinge überhaupt nicht so laufen, wie sie sollen oder wie wir uns das vorgestellt haben.
Und mit dem Feierabend ist das so eine Sache: Wir alle drei sind ja Unternehmer*innen bzw. Inhaber*innen, da gibt es – streng genommen – eigentlich nie den „klassischen“ Feierabend. Wenn abends noch Mails eintrudeln, gucken wir immer einmal drauf. Wind und Wetter behalten wir immer irgendwie nebenbei im Blick. Und wenn sich am Wochenende eine Idee für die nächste Verkaufsaktion oder die Weiterentwicklung der Firma auftut, wird damit losgearbeitet. Den Umgang mit der Zeit und den Umgang mit Abgrenzung lernt man aber – insofern machen auch wir selbstverständlich irgendwann einmal Feierabend.
In der Saison müssen wir einfach andere Prioritäten setzen. Die geernteten Muscheln sollen sorgfältig versorgt sein – schließlich sind Muscheln lebende Tiere, für die wir die Verantwortung tragen. Und die Kund*innen sollen auch zuverlässig mit ihren Bestellungen versorgt sein. Und dann dauert es halt so lange, wie es eben dauert. Aber insofern kann es dann auch in der Saison passieren, dass wir sogar schon einmal um 13:00 Feierabend haben, weil alles erledigt ist.
Da wir aber wind- und wetterabhängig arbeiten, können wir freie Zeiten innerhalb der Saison nur schwer vorhersehen. Da nehmen wir die Tage einfach so, wie sie kommen.
Und wie genau sieht eigentlich so ein typischer Arbeitstag für Euch aus?
Den „typischen“ Arbeitstag gibt es irgendwie gar nicht. Am Ende der Woche machen wir uns einen Plan für die nächste Woche, und dann gucken wir von Tag zu Tag, ob wir daran etwas verändern müssen.
Aber der „optimale“ Tag innerhalb der Saison wäre wohl so:
Treffen im Büro am Kai, kurz dringende Dinge besprechen und organisieren, kurzfristig eingetroffene Bestellungen aufnehmen, Wetter checken: kein Wind, kein Regen, Fahrt in den Hafen, mit dem Boot ‘rausfahren, die bestellte Menge Muscheln ernten, im Hafen die Muscheln sortieren, abwiegen und verpacken, Bestellungen an Restaurants ausliefern, Mittagspause am Kai, dann Muschel-Ausgabe an Privatkund*innen, Mails beantworten, Telefonate führen, Bestellungen für den nächsten Tag vorbereiten, Feierabend.

Erntesaison!
Das klingt nach eine arbeitsreichen Saison. Ist während der Nebensaison denn etwas weniger zu tun? Oder ist nach der Saison schon vor der Saison?
Eine Nebensaison als solche gibt es für uns nicht, vielleicht eher eine ernte- und verkaufsfreie Zeit. In der gibt es eigentlich genau so viel zu tun, wie in der Ernte- und Verkaufssaison, die Aufgaben sind nur andere. Außerhalb der Saison müssen die Leinen gepflegt werden, denn im Frühjahr wachsen die Muscheln und legen an Gewicht zu – dann fahren wir regelmäßig ‘raus und sorgen für ausreichend Auftrieb an den Leinen, damit die Muschelleinen nicht auf den Grund sinken. Das Boot muss gewartet, repariert und gepflegt werden. Außerdem bauen wir gerade unsere Farmfläche aus – im Sommer setzen wir also neue Verankerungen, spannen neue Muschelleinen, und räumen quasi auf dem Wasser einmal alles auf. Beschädigtes Material muss entsorgt werden. Im Büro einer wachsenden Firma ist immer mehr als genug zu tun. Und zusätzlich sind wir ja auch noch in etliche Forschungsprojekte eingebunden, die auch durchgehend betreut werden.

In der verkaufsfreien Zeit muss das Boot Pontylus gewartet werden. Auch der Rest der Meeresfarm bedarf Pflege in dieser Zeit.
Die Kieler Meeresfarm ist die erste Muschelfarm in der Deutschen Ostsee. Dabei habt Ihr Euch einen guten Namen gemacht und könntet bestimmt weitaus mehr verkaufen als Ihr erntet. Wie sieht die Zukunft eines/einer Muschelfarmer*in Eurer Meinung nach aus?
Ja, wir könnten durchaus mehr verkaufen, als wir produzieren. Und gerade deswegen erweitern wir auch Farm und Firma. Momentan schaffen wir maximal 5 Tonnen pro Saison, zukünftig dürfen wir bis zu 50 Tonnen produzieren. Bei welcher Menge wir uns schließlich einpendeln werden, steht jedoch noch in den Sternen. Durch die Art unserer Zucht, unsere Bio-Zertifizierung und die überwiegend regionale Ausrichtung des Vertriebs besetzen wir innerhalb der Deutschen Muschelbranche eine Nische, die wir auch nicht verlassen möchten. 5 Tonnen reichen nicht, um die aktuelle Nachfrage zu decken, und sie reichen auch nicht, um durch deren Verkauf 3 Personen zu ernähren. Produzieren wir aber wiederum „zu viel“, müssten wir mit den Großbetrieben in der Nordsee konkurrieren – was wir nicht können und auch nicht wollen.
Die Ansprüche an Lebensmittel scheinen momentan einem recht starken Wandel zu unterliegen – weg von Massenproduktion, hin zu mehr Achtsamkeit, nachhaltigen Ansätzen (die nicht nur floskelhaft so genannt werden), Konzentration auf regionale Produkte und zu persönlicherem Kontakt zwischen Konsument*innen und Produzent*innen. Wenn sich diese neuen Werte und Maßstäbe etablieren, wird unsere Nische ein Sichere sein. Gleichwohl werden Muscheln sicherlich nicht in die Reihe der Grundnahrungsmittel aufgenommen werden, insofern wird der Bedarf wohl alleine deswegen immer nach oben begrenzt sein.
Unsere Muscheln haben jedoch so viel mehr Potential als „nur ein Lebensmittel“ zu sein, daher sehen wir unserer Zukunft als Muschelfarmer*innen sehr zuversichtlich entgegen.

Die Muscheln wachsen ressourcenschonend im ihnen zur Verfügung gestellten Lebensraum.
Wenn ich jetzt auch Muschelfarmer*in werden möchte: Wo genau könnte ich einsteigen, bzw. gibt es eine Ausbildung oder einen Studiengang zum Muschelfarmer*in?
Die Wege in diesen Beruf sind sicherlich recht vielfältig.
Ein biologischer / meeresbiologischer Hintergrund kann durchaus nützlich sein. Zudem gibt es Studiengänge, die sich gezielt mit Aquakultur beschäftigen. Auch Studiengänge, die sich mit nachhaltiger Lebensmittelproduktion beschäftigen, können sinnvoll sein. Eine Fischereiausbildung könnte auch nützlich sein (wobei wir keine Muschel-Fischerei betreiben, sondern eine Muschel-Zucht!). Quereinstiege sind grundsätzlich auch möglich – es hängt ja auch immer vom Unternehmen ab. So ist Kristina beispielsweise als Sozialarbeiterin bei uns gelandet, weil sie langjährige Erfahrungen im Bereich der Organisationsentwicklung hat und damit den Bedarf unserer wachsenden Firma gut bedienen kann.
Und nun noch eine Frage für alle zukünftigen Muschelfarmer*innen. Was ist das besondere Etwas an Eurem Beruf?
Das besondere Etwas ist das naturnahe Arbeiten bei Wind und Wetter mit einem naturbelassenen Produkt, also den Muscheln, die keinen Einsatz zusätzlicher Ressourcen benötigen, um zu gedeihen.
In die zufriedenen Gesichter unserer Kund*innen zu gucken.
Das Wissen, dass wir mit der Art unserer Arbeit das Meer und die Umwelt schonen.
Die Freiheit, die Tage so zu gestalten und zu nutzen, wie wir das möchten.
Vielen Dank für das spannende Interview und alles Gute weiterhin für Euch und die Kieler Meeresfarm!
Ein Interview von Max Nettlau
Farming auf dem Wasser - deine Infos, dein Weg
Du wusstest gar nicht, dass Muscheln in der Kieler Förde gezüchtet werden? Hier gibts noch mehr Infos zur Kieler Meeresfarm und die Möglichkeit während der Saison Muschelbestellungen aufzugeben, falls du direkt mal probieren willst:
https://www.kieler-meeresfarm.de/
Vielfältige Wege führten Tim, Kristina und Niko zur Muschelfarm. Hier findet ihr Links zu Studiengängen, die thematisch zur Muschelzucht und dem Farming auf dem Wasser passen können:
An der CAU Kiel gibt es den Studiengang Agrarwissenschaften, in dem man sich schon im Bachelor mit mariner Aquakultur beschäftigen kann.
Auch die Universität Rostock beitet einen Bachelorstudiengang Agrarwissenschaften an. Darauf aufbauend kann unter anderem der Masterstudiengang Aquakultur mit den Schwerpunkten Biologie, Technik und Wirtschaft ebenfalls an der Uni Rostock absolviert werden.
Auch Studiengänge im Bereich Meeresbiologie, Ökologie oder im unternehmerischen Bereich können passend sein, um bei der Nahrungsmittelproduktion aus dem Meer einzusteigen.
Zudem spielen die Muschelkulturen auch in der Ausbildung zur Fischwirt*in eine Rolle. Umfangreiche Informationen zu den Zugangsvoraussetzungen, Tätigkeiten und Perspektiven für diese Ausbildung findet ihr zum Beispiel hier bei der Bundesagentur für Arbeit.