Pazifische Austern in der Kieler Förde – Woher kommen sie und welche Folgen hat dies für Ökosysteme?

Seit einiger Zeit macht die Pazifische Auster der Miesmuschel im Wattenmeer Konkurrenz. Nun werden auch vermehrt Funde in der Kieler Förde dokumentiert. Doch wie hat es die Pazifische Auster aus dem Nordpazifik in den kalten Norden geschafft und welche Konsequenzen hat dies für unsere Ökosysteme und die darin lebenden Arten? Der Ocean Summit Kiel hat für euch die wichtigsten Infos auf einen Blick zusammengestellt:

Ein seltsamer Fund in der Ostsee

Die Pazifische Auster Crassostrea gigas wurde erstmals in den 1960er Jahren im niederländischen Wattenmeer gezüchtet, um die dort ausgestorbene heimische Art, die Europäische Auster, zu ersetzen. Ab 1986 begann man mit der Züchtung auch im nördlichen Wattenmeer Deutschlands, um sie als Delikatesse in Restaurants zu verkaufen. Sie hat ihren weiten Weg aus dem Pazifik in den hohen Norden also nicht von selbst gefunden.

Hier spielte wieder einmal der Einfluss des Menschen eine wichtige Rolle: Einige Larven fanden unbeabsichtigt ihren Weg aus den Aquakulturen in den Niederlanden und auf Sylt in den offenen Ozean. Durch die Strömung der Wassermassen gelangte sie auch in fremde Gebiete wie die Ostsee.

Eine pazifische Auster im flachen Wasser von oben fotografiert

Die Pazifische Auster bei uns in der Kieler Förde. Copyright: © Sven Bohde

Als sogenannter Neobiot, also eine invasive Art, schaffte es die Pazifische Auster in den letzten 30 Jahren ihr Verbreitungsgebiet zu erweitern. Dabei hatte anfangs niemand mit einer Ausbreitung der Pazifischen Auster gerechnet, da man glaubte, sie könnte die kühlen nordischen Temperaturen nicht überleben. Umso erstaunlicher ist es, dass neben der Ausbreitung in der Nordsee nun auch vermehrt Funde in der westlichen Ostsee bekannt werden. Denn man dachte, der niedrige Salzgehalt der Ostsee würde die Ausbreitung ebenfalls einschränken. Doch auch dies scheint nicht der Fall zu sein. Aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit und Toleranz an verschiedenste Umweltbedingungen hat die Pazifische Auster nun auch ihre Heimat in Kiel gefunden.

Konkurrenzkampf mit der einheimischen Miesmuschel?

Hier in der Region könnte die Pazifische Auster in näherer Zukunft wie auch in der Nordsee in Konkurrenz zu unserer einheimischen Miesmuschel Mytilus edilus stehen. Bis jetzt ist dies noch nicht der Fall, da der Bestand der Pazifischen Auster hier noch sehr klein ist. Die Gefahr besteht allerdings, denn sie ist der Miesmuschel teilweise überlegen: Sie wird größer und wächst schneller. Dies sind gute Voraussetzungen für eine schnelle Ausbreitung und Ansiedlung.

Da die Pazifische Auster selbst nicht „riffbildend“ ist, also im Gegensatz zur Miesmuschel nicht alleine fähig ist, sich auf instabilem, sandigen Boden festzusetzen (sessil zu werden), braucht die Auster bzw. deren Larven, für ihre Ansiedlung festen Untergrund. Und so nutzt die Pazifische Auster tatsächlich gerne den harten Untergrund der Miesmuschelbänke als Fundament für eine Neuansiedlung ihrer Population.

Zusätzlich ist die Pazifische Auster der Miesmuschel im Punkto Klimawandel einige Schritte voraus: Sollten die Winter wärmer bleiben, wird es für die Miesmuschel, die kältere Temperaturen bevorzugt, schwierig mit der Auster mitzuhalten.

Auch wenn eine Nahrungskonkurrenz der beiden Arten besteht und die Miesmuscheln in der Nordsee schon an Größe verloren haben, kommen sie dort doch in ähnlichen Dichten vor, wie vor der Einführung der Auster. Diese bieten ihnen nämlich unter anderem Schutz vor Räubern. Zum jetzigen Zeitpunkt ist zwar eine Häufung der Artenverschiebung in der Nordsee festzustellen, aber die Anpassung der Natur scheint bisher gelungen zu sein. Doch weitere Faktoren wie die Klimaveränderung lassen das Ende offen. Spannend wird es zu beobachten, welchen Platz sich die Pazifische Auster bei uns in der Kieler Förde schafft.

Freigelegtes Stück der Kieler Förde beim Seebad wo einige Pazifische Austern zu sehen sind

Dank des Badewanneneffekts wurde ein Teil der Kieler Förde beim Seebad freigelegt und zum Vorscheinen kamen auch Pazifische Austern. Copyright © Sven Bohde

Muschel mit Salatbeilage: Blinde Passagiere auf der Pazifischen Auster

Als Ecosystem Engineering Species also eine Art, die gezielte Änderungen in einem Ökosystem hervorrufen kann, nimmt die Pazifische Auster erheblichen Einfluss auf ihre Umgebung: durch Veränderungen des Lebensraumes, des Nahrungsnetzes und der Artzusammensetzungen. Im niedersächsischen Wattenmeer wurde in den vergangenen Jahrzehnten bereits ein Wechsel des Lebensraumstyps von Mytilus-Bänken zu Crassostrea-Riffen beobachtet. Dies kann weitere Folgen nach sich ziehen, da viele andere Tiere, wie Seevögel oder Kleinstlebewesen wie Krebse auf die Miesmuscheln angewiesen sind. Denn im Gegensatz zu einigen Menschen schmeckt vielen heimischen Meerestieren die exotische Auster nicht. So können sich die Austern ohne Fressfeine ungehindert ausbreiten und ein „totes Ende“ der Nahrungskette bilden. Und die Pazifische Auster kam nicht allein: Als blinden Passagier hat sie einen weiteren Neobioten mitgebracht: den japanischen Beerentang Sargassum muticum. Dieser wächst auf den Austern und ist seit 1988 in der Nordsee bekannt.

Es kommt für das Ökosystem jedoch durchaus gelegen, da diese Großalge in der Nordsee dichte ausgedehnte Wälder bildet und Arten wie Seestichlinge und Schlangennadeln davon profitieren können. Auf lokaler und regionaler Ebene können invasive Arten also auch eine Zunahme der Lebensraumvielfalt bewirken. Global ist die Einschleppung neuer Spezies insgesamt allerdings ein Problem, wenn Fressfeinde fehlen und heimische Arten durch Konkurrenz einen Lebensraum verlieren.

Was ist eigentlich mit der Europäischen Auster passiert?

Einst reichte das Verbreitungsgebiet der Europäischen Auster Ostrea edulis bis in das nord-ostfriesische Wattenmeer, bis der Mensch durch starke Überfischung den Bestand soweit dezimierte, dass er sich nicht mehr erholen konnte und die Art in Deutschland seit Mitte des 20. Jahrhunderts als funktionell ausgestorben gilt. Doch es gibt erfreuliche Neuigkeiten vom Alfred-Wegener-Institut, welches im Rahmen der Projekte Restore und Proceed“ an der Wiederansiedlung der Europäischen Auster in deutschen Gewässern arbeitet.  Als Schlüssel- und gleichzeitige Gründerart haben sie wichtige Funktionen innerhalb des Ökosystems. Die verwachsenen Schalen bilden eine dreidimensionale Struktur und bieten somit Lebensraum für viele andere Tierarten wodurch eine biologische Vielfalt gefördert wird. Zudem ist die Ernährungsform der Austern ein weiterer Pluspunkt für die Meere: Die Verbesserung der Wasserqualität. Sie filtrieren täglich bis zu 240 Liter Meerwasser. Bei dem Filtrationsvorgang wird Wasser angesaugt, welches Plankton – also kleinste Tiere und Pflanzen, sowie kleine organische Partikel enthält, die der Muschel als Nahrungsgrundlage dienen. Die Partikel werden von einer Schleimschicht auf den Kiemen zurückgehalten und mit Hilfe der Wimpern zum Mund befördert. Diese Art der Nahrungsaufnahme hat einen schönen Nebeneffekt: Die Säuberung des Meerwassers, weshalb Muscheln auch als Klärwerke der Meere bezeichnet werden.

Drei Pazifische Austern inmitten von vielen Miesmuscheln in der Kieler Förde

Noch sind die einheimischen Miesmuscheln deutlich in der Überzahl in der Kieler Förde, doch die Pazifischen Austern wurden bereits entdeckt. Copyright: © Sven Bohde

Hat die Pazifische Auster die einheimische Europäische Auster verdrängt?

Oft wird vermutet, dass die Pazifische Auster die heimischen Austern verdrängt hat. Doch diese verschwand schon lange Zeit vor der Einwanderung der Pazifischen Auster. Auch bei den geplanten Wiederansiedlungesversuchen sollte die Existenz der Pazifischen Auster kein Problem darstellen, da die beiden Arten unterschiedliche ökologische Nischen besetzten. Sie sind an unterschiedliche Wassertiefen und Gezeiteneinflüsse angepasst. Die Europäische Auster bevorzugt das offene Meer mit einem stabilen Salzgehalt und festem Untergrund. Sie ist in Tiefen bis zu 80 Metern zu finden, bilden keine Bänke und werden bis zu 30 Jahre alt. Die Pazifische Auster hingegen ist in Küstengewässern bis zu 50 Metern Wassertiefe zu finden und kann pro Quadratmeter mit bis zu 1000 Muscheln vertreten sein. In jedem Fall sind Austern, egal ob pazifisch oder europäisch Hotspots der biologischen Vielfalt. Sie dienen als Futter, Schutz, Laichgebiet und Kinderstube und müssen deshalb unbedingt geschützt werden. Laut BUND ist es vor allem wichtig, schädliche Einflüsse der Menschen zu minimieren, unter anderem durch ein Verbot der Fischerei mit Grundschleppnetzen in Gebieten, in denen die Wiederansiedlung stattfinden soll.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Einschleppung neuer Spezies ist meist menschenbedingt, wie zum Beispiel durch Aquakulturen oder die Schifffahrt, bei der sich die Arten als blinde Passagiere an die Schiffe heften können und so unbeabsichtigt in fremde Gewässer gelangen. Angekommen in ihrem neuen Habitat können die invasiven Spezies heimische Ökosysteme nachhaltig beeinflussen: durch die Veränderung von Nahrungsnetzen und Artenzusammensetzungen. Die Bewertung der Auswirkungen von invasiven Arten ist durchaus komplex, da sie einerseits die einheimischen Arten verdrängen können, indem sie mit ihnen um Nahrung oder den Lebensraum konkurrieren. Dies kann zu einer grundlegenden Veränderung des Ökosystems führen, da ganze Nahrungsketten verändert werden.  Andererseits können sie auch zu einer Zunahme der Artenvielfalt beitragen, was sich meist positiv auf ein Ökosystem auswirkt. Bislang gibt es starke Anzeichen dafür, dass eine Koexistenz der Miesmuschel und der Pazifischen Auster möglich ist und wäre es nicht sogar von Vorteil, wenn die Pazifische Auster unterstützend mit ihrer immensen Filtrationsleistung unser Meerwasser säubert?

Es bleibt spannend und wichtig, die neuen BewohnerInnen der Meere zu beobachten, um frühzeitig von ihnen zu lernen oder auch Maßnahmen ergreifen zu können.

Quellen:

Diedrich S., Nehls G., van Beusekom J. E. E., Reise K., 2005: Introduced Pacific oysters (Crassostrea gigas) in the northern Wadden Sea: invasion accelerated by warm summers?. Helgoland Marine Research 59 (https://doi.org/10.1007/s10152-004-0195-1)

Laugen A. T., Hollander J., Obst M., Strand A., 2016: 10. The Pacific Oyster (Crassostrea gigas) Invasion in Scandinavian Coastal Waters: Impact on Local Ecosystem services. In: Biological Invasions in Changing Ecosystems: Vectors, Ecological Impacts, Management and Predictions. Edited by:  João Canning-Clode, Warsaw, Poland. (https://doi.org/10.1515/9783110438666-015)

Das Alfred-Wegener-Institut hat eine eigene Website eingerichtet auf der du dich interaktiv zum Thema Austern durchklicken kannst.

Und wenn du noch mehr über unsere einheimische Miesmuschel erfahren möchtest, hat der NABU hier einige spannende Fakten für dich.

Text: Saskia Wall (Praktikantin Ocean Summit)