Wie entsteht der Nordatlantikstrom? oder: Warum ist das Tiefenwasser in den Tropen kalt?
Wir befinden uns den achtzehnten Tag auf See nach unserer Abfahrt von den Kanarischen Inseln, ein mäßiger Passatwind aus Nordosten schiebt uns beständig Richtung Karibik.
Unser Schiff, der Traditionssegler „Pelican of London“ rollt im Seegang, immer wieder findet eine Welle ihren Weg auf das Deck. Schon seit den Morgenstunden schwitzen alle, die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel und heizt das Schiff auf. Nur der Wind im Schatten der Segel spendet etwas Abkühlung. Zur Mittagszeit beschließen wir das Schiff beizudrehen und eine Wasserprobe aus der Tiefe zu nehmen. So beschweren wir also unseren Wasserschöpfer mit Gewichten und lassen ihn an einer langen Leine in Meer gleiten. Nachdem wir hunderte Meter Leine abgespult haben verschließen wir den Behälter mithilfe eines Auslösemechanismus in dieser Tiefe und ziehen die Wasserprobe per Hand, Meter über Meter, an Deck. Als wir den Wasserschöpfer öffnen, fließt sehr kaltes Wasser über unsere Zehen, überrascht ziehen wir die Füße weg.
Wie kann es sein, dass hier, mitten in den Hitze der Subtropen, das Wasser so kalt ist?
Die gleiche Frage stellte sich der Kapitän eines englische Sklavenschiffs im Jahr 1751, als er ebenfalls eine Wasserprobe aus der Tiefsee hochholte. Damals konnte er diesen scheinbaren Widerspruch, dass es so kaltes Wasser in einer so warmen Klimazone der Erde gibt, nicht auflösen. Erst einige Jahrzehnte später konnte der britische Forscher Sir Benjamin Thompson 1797 das kalte Wasser durch Meeresströmungen in der Tiefsee, welche Wasser von der Arktis Richtung Süden transportieren, erklären. Ein Grund dafür mag sein, dass sich die Seefahrer mehr für Ereignisse auf der Wasseroberfläche oder direkt darunter interessierten und somit Ereignisse in der Tiefsee eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Für die Seefahrt wichtige Strömungen wird dagegen ein Namen gegeben. So bezeichneten die Seeleute die starke, warme Meeresströmung an der Oberfläche, welche sich ihren Beobachtungen nach im Golf von Mexiko beginnend die Ostküste der USA entlang windet und dann quer über den Atlantik fließt, als Golfstrom. Einen andere Arm dieser warmen Meeresströmung machten sich die Seefahrer auf ihrer Rückreise aus der Karibik Richtung Osten zu Nutzen. Dieser sogenannte Nordatlantikstrom spaltet sich in der Mitte des Atlantiks vom Golfstrom ab und fließt als warmer Oberflächenstrom Richtung Nordeuropa. Er sorgt hier sogar im Winter für eisfreie Häfen an Norwegens Küste und ein relativ mildes Klima. Im Laufe der Zeit wurden den Meeresforschern klar, dass der Golfstrom und der Nordatlantikstrom zusammengehören und jeweils nur Teile einer umfassenden Meeresströmung im Atlantik sind, welche wiederum nur Teil eines weltumspannenden Systems von Meeresströmungen ist, die eine Art globales Förderband bilden. Dabei transportiert alleine der Nordatlantikstrom schier unvorstellbare Wassermassen von 15 Millionen Kubikmetern pro Sekunde- was dem 15-fachem der transportierten Menge aller Flüsse der Erde entspricht. Auch die Wärmeleistung dieser Strömung ist enorm: Man schätzt, dass etwa 600 Milliarden Kilowatt durch den Nordatlantikstrom transportiert werden, was grob der Leistung von 600.000 Atomkraftwerken entspricht.
Dabei unterscheiden sich der Golfstrom und der Nordatlantikstrom in einer Sache grundlegend, und zwar in ihrem Antrieb: Der Golfstrom wird durch beständige Winde wie dem Passat, den wir uns auch auf der „Pelican“ zu Nutze gemacht haben, angetrieben. So lange also diese Winde wehen, wird der Golfstrom weiter seine warmen Wassermassen in den Norden transportieren. Da der Wind nur auf die Meeresoberfläche wirkt, ist der Golfstrom also eine reine Oberflächenströmung.
Die Ursache für den Nordatlantikstrom hingegen war lange umstritten. Wissenschaftler waren sich bis ins 19. Jahrhundert uneinig, ob Winde oder ob Effekte wie Abkühlung- und Erwärmung des Wassers und die Veränderung des Salzgehaltes durch Verdunstung und Niederschlag die Ursache die Strömung antreiben. Um dieses Rätsel aufzulösen führte der schwedische Wissenschaftler Johan Sandström im Jahr 1908 einfache Experimente in Wassertanks durch. Er fand heraus, dass sich auch Meeresströmungen durch Unterschiede in der Dichte von Wasser bilden können. Da die Dichte von Meerwasser hauptsächlich dadurch bestimmt wird, wieviel Salz im Wasser gelöst ist und wie warm dieses ist, nennt man diese Meeresströmungen „thermohaline“ Zirkulation („thermos“- warm, „halos“-Salz). Diese thermohalinen Strömungen finden nun im Gegensatz zu den windgetriebenen Strömungen auch in der Tiefe statt, weshalb sie kalte Wassermassen in der Tiefsee auch in tropische Gefilde transportieren können – und wir kurz vor der Karibik kalte Füße kriegen!
Welche Zutaten brauchen wir nun also um eine thermohaline Zirkulation in Gang zu bringen? Wir brauchen dichtes Meerwasser, das absinkt. Dies geschieht nur in sehr wenigen Regionen der Erde, namentlich dem Europäischen Nordmeer zwischen Grönland und Norwegen und der Labrador See.
An diesen Orten kühlt sich das warme, salzhaltige Wasser aus dem Süden ab. Gleichzeitig steigt der Salzgehalt durch die Bildung von Meereis weiter an. Wenn nämlich das salzhaltige Meerwasser gefriert bleibt das Salz zurück, da Eis selber praktisch kein Salz enthält . So wird das Wasser immer dichter und sinkt ab. Es gilt also: Je salzhaltiger und kälter Wasser ist, desto größer ist seine Dichte. Nach dem Absinken begibt sich das Wasser nun auf eine lange Reise in der Tiefsee Richtung Süden. Dabei verhält sich das schwere Tiefseewasser ähnlich wie ein Fluss an Land, und folgt der Form des Meeresbodens entlang unterseeischer Täler und Rinnen. Irgendwann muss sich dann das schwere Tiefenwasser mit leichteren Wassermassen vermischen, um die Zirkulation aufrecht zu erhalten. So gelangt das Tiefenwasser vermischt dann wieder an die Oberfläche, Wissenschaftler schätzen, dass diese Reise bis zu 1600 Jahre dauern kann.
Die thermohaline Zirkulation spielt also eine große Rolle bei der Verteilung von Wärme über die gesamte Erde, was weitreichende Auswirkungen auf unsere Klima haben kann.
Ein Gastbeitrag von Nicolas Fleischmann
Quellen:
Rahmstorf, S., 2006: Thermohaline Ocean Circulation. In: Encyclopedia of Quaternary Sciences, Edited by S. A. Elias. Elsevier, Amsterdam.
Beck, M. L., Konitzer, S., Weidinger, E., & Peinert, R. (2017). Zukunft der Golfstromzirkulation: Fakten und Hintergründe aus der Forschung.