Meerspektive: Seegrashandwerker Kristian Dittmann

Innerhalb der Reihe „Meerspektiven“ stellen wir Euch vielseitige Berufe und Berufungen rund um die Meere vor. Egal ob eine Ausbildung, ein Studium oder ein Quereinstieg den Weg dorthin ermöglichen kann, egal ob große Karriere oder nebenberufliches Engagement, Ehrenamt oder Hauptjob. Wer möchte, findet viele Wege zu Meer. Dazu möchten wir Euch mit unseren Interviews und Infos inspirieren. Im folgenden Interview lernt Ihr den Seegrashandwerker Kristian Dittmann kennen. Viel Spaß mit dieser Meerspektive!

Moin lieber Kristian Dittmann – in Deiner Strandmanufaktur in Kappeln bereitest Du das Treibsel Seegras auf –  wie genau würdest du deinen Beruf bezeichnen?
Ich bin selbstständiger Handwerker mit einem eigenen Produkt. Dieses Produkt sind Seegraskissen und ich produziere vom Anfang bis zum Schluss. Also von der Ernte bis zu dem verpackten Karton. Ich bin Rohstoffproduzent, gleichzeitig aber auch in der Textilindustrie oder im Textilgewerbe, wenn man so sagt.

War das mit dem Seegras schon immer dein beruflicher Plan?
Ich habe das mit dem Seegras erst angefangen als ich 42 war. Ich habe die 23 Jahre davor alle möglichen Jobs gemacht. Auch, wenn die Arbeiten schön waren. Ich war Whale-Watcher und habe Wale gesehen, aber trotzdem blieb es immer Arbeit. Auch Pottwale gucken kann nervig sein, wenn es auf dem Nordatlantik nieselig ist und kalt und du nachhause möchtest. Alle Jobs hatten immer so einen Haken. Und der Haken lag daran, dass eben Geld verdient werden musste.

>> Auch Pottwale gucken kann nervig sein, wenn es auf dem Nordatlantik nieselig ist. <<

Und jetzt mit dem Seegras musst du kein Geld mehr verdienen?
Beim Seegras habe ich für mich persönlich einen Trick. Ich brauche nämlich so wenig Geld wie ein Student. Ich habe denselben Lebensstandard wie mit 20. Das macht das Ganze so entspannt, sodass ich ein halbes Jahr auch mal frei haben kann. Wenn man Seegras verknüpft mit einer bescheidenen Lebensweise, dann gibt es einem tatsächlich die Chance die Arbeit in Freude, in Liebe, in Zugewandtheit und in Work-Life Balance zu machen. Anfangs habe ich dann Kreuzschmerzen und Leute sagen, das ist doch Sünde (Sünde ist norddeutsch für: „Das tut mir leid für dich“).

Nein, während der Ernte werde ich stärker und das ist ein wunderbares Lebensgefühl fit zu sein. Aber weil es eben ein so sinnvoller Job ist und mich keiner stressen kann und am Ende die Produkte so gut sind, weil das Seegras diese so gut macht, bin ich in der Summe glücklich. Wer etwas mit Seegras macht hat eine Zukunft vor sich, weil das Thema immer wichtiger wird. Jeder Mensch, der sich heutzutage mit Seegras befasst ist noch innerhalb der ersten Welle. Seegras wird einen ganz wichtigen Stellenwert bekommen. Es ist zukunftsfest. Darum geht es ja auch in der Jobplanung.

>> Nein, während der Ernte werde ich stärker und das ist ein wunderbares Lebensgefühl fit zu sein. Aber weil es eben ein so sinnvoller Job ist und mich keiner stressen kann und am Ende die Produkte so gut sind, weil das Seegras diese so gut macht, bin ich in der Summe glücklich.<<

Wenn man an Büroarbeit denkt, kommt schnell das Stichwort „9to5“. Wie sieht denn ein typischer Arbeitstag für dich aus?
Bei mir hat sich die Trennung von Arbeit und Leben komplett aufgehoben. Arbeiten ist Leben und Leben ist teilweise Arbeiten. Und ich habe keinen vorbestimmten Tages- oder Wochenablauf. Ich bin ungefähr das halbe Jahr mit Seegras beschäftigt. Von Anfang bis Ende. In der Zeit bin ich stark abhängig vom Wind. Das andere halbe Jahr habe ich frei von meinem Handwerk und kann dann andere Sachen machen.

Du sagst Seegras ist die Zukunft, blicken wir einmal zurück: Wie bist du nach deinem Biologiestudium in Hamburg, über die Jahre, schließlich bei dem Seegras gelandet?
Meine Ausbildung dahin hat schon viel früher begonnen. Da ich in Laboe aufgewachsen bin, hat der Strand seit je her eine große Rolle für mich gespielt. Ich habe meine Spielzeugschiffe immer über die gigantischen Sandwellen fahren lassen. Alles was mit dem Meer zu tun hat, hat mich begeistert: schwimmen, surfen, segeln der ganze Kram! Und daraus erwuchs meine Liebe fürs Meer. Ich bin über mein Magisterstudium Soziologie quer in Bio reingerutscht und konnte am Ende ein halbes Soziologie- und ein halbes Biologiestudium vorweisen. Besonders gut gefallen hat mir, dass ich bei meinen beiden Nebenfächern, Zoologie und Meeresbiologie, die schönsten und spannendsten Kurse rauspicken konnte. Das entsprach meinem Interesse und ich hatte Lust auf Bio und besonders Meeresbiologie. So habe ich dann 12 Jahre lang als freier Journalist über das Segeln und Meeresbiologie geschrieben.

>> Da ich in Laboe aufgewachsen bin, hat der Strand seit je her eine große Rolle für mich gespielt. Ich habe meine Spielzeugschiffe immer über die gigantischen Sandwellen fahren lassen. Alles was mit dem Meer zu tun hat, hat mich begeistert: schwimmen, surfen, segeln der ganze Kram! Und daraus erwuchs meine Liebe fürs Meer. <<

Durch einen Zufall, oder vielmehr einen Impuls, festigte sich bei mir bei einem Spaziergang der Gedanke, das Seegras ein Rohstoff ist. Ich habe mir bei diesem Spaziergang direkt eine Probe Seegras eingesteckt, diese gewaschen, getrocknet. Eine Routine als Biologe. Mit der Probe bin ich zu einem Polstermann in Flensburg gegangen und der sagte: „Ja klar, Seegras ist die Wolle der Küste, das haben wir schon immer mal zum Ausbessern benutzt, für Stühle, Matratzen und Kissen!“. Damit hatte ich dann eine Zielrichtung und habe angefangen Kissen zu machen.

Also war das mit dem Seegras alles eher ein Zufall?
Letztendlich bin ich einfach durch eine Wendung im Leben zum Seegras gekommen. Ähnlich, wie wenn man mit der Schule fertig ist und raus ins Leben geht, gibt es, meiner Meinung nach, im Leben immer wieder Momente, die frei sind, wo man nicht weiß, wo der Kurs hingehen soll. Nach 12 Jahren freiem Journalismus hatte ich keine Lust mehr darauf, dass hatte sich abgearbeitet. Ich war 40 und hatte viel mehr Lust zu Hause zu sein, ich wollte Kinder haben. Mit dieser Offenheit bzw. mit diesem Stress: was mach ich jetzt; machte ich diesen Spaziergang.  Damals wusste ich noch gar nicht, das Seegras als Rohstoff nutzbar ist. Zwar hatte man es bis in die 1960er noch geerntet aber es ist total schnell aus dem Alltagswissen verschwunden.

Sehr schön! Wenn wir jetzt nochmal zu deiner Arbeit an sich zurückkommen, ist es am Ende des Tages so, dass du alleine dabei bist? Oder ist es eine Arbeit, wo du sagen kannst, dass man eine Teamarbeit daraus machen kann?
Ich habe mich dazu entschieden, als Betrieb klein zu bleiben. Und das ist in Deutschland eine Grenze von 22.000 Euro Jahresumsatz. Das bedeutet, das die gesamte Bürokratie ein Minimum ist, was mir zu Gute kommt, da ich auf Bürokratie überhaupt keine Lust hab. Jedoch kann ich davon natürlich keinen Angestellten bezahlen, und bin ein 1-Mann-Betrieb. Ich arbeite zudem gern alleine, es ist hochproduktiv und ich muss mich nicht auf andere verlassen. Wenn sich aber jemand bei mir meldet und mir seine Hilfe bei der Ernte anbietet, nehme ich das jedoch gerne an.

Prinzipiell aber bist du natürlich nicht daran gebunden, das alleine zu machen. Und auf eine gewisse Art macht es natürlich auch mehr Spaß in einer Gruppe. Es gibt zum Beispiel eine neue Gruppe, die Seegraserei. Das sind zwei Lehrerinnen aus Flensburg, die Lust haben, nebenbei noch was anderes zu machen. Also als Teilzeit und kleineren Erwerbsteil dazuzuverdienen, die arbeiten als Team und haben total viel Spaß dabei.

CHRISTIAN ÜBER SEEGRAS-ERNTE UND PRODUKTION

Wann ist die Erntezeit für Seegras und wie läuft das ab?
Die Erntesaison beginnt so am Ende der Sommerferien, Mitte August, und wenn da Ostwind ist – Ostwind ist für mich der Bringerwind – dann düse ich ganz früh los. Also ich beobachte das Wetter und so nach zwei bis drei Tagen, denn das braucht auch etwas Zeit bis der Ostwind das Seegras an den Strand gespült hat. Dann fahre ich frühmorgens los.

Das ist so, wie wenn andere morgens auf Montage fahren. Da habe ich meine Schubkarre und Forke dabei, ich habe einen Laster, wo ich das auflade. Ich habe meine zwei dick beschmierten Brote und eine Thermoskanne Kaffee dabei und fahre zum Strand, meistens in Eckernförde. Am Strand sammle ich einfach das Seegras mit einer Forke und einer Schubkarre vom Ufersaum ab. Mit der Ernte fahre ich dann abends nachhause. So wird das auch, wenn Erntesaison ist auch mal eine ganze Woche oder zwei Wochen. Da bin ich dann auch für nichts anderes mehr ansprechbar.

Ein Bauer sagte mal zu mir: „In der Ernte bist du schlimmer als die Bauern.“, und das nahm ich dann als Lob, weil wenn das Seegras kommt, dann muss ich es holen. Wenn es erstmal zwei bis drei Tage liegt, dann nimmt die Qualität ab und viel schlimmer, dann kommen die ganzen Spaziergänger mit ihren Hunden. Und ein Hundehaufen in meiner Ernte wäre sozusagen ein Gau. Das heißt ich muss richtig früh raus, da bin ich ähnlich wie ein Bauer oder ein Fischer. Egal ob es regnet – jetzt ist Ernte, jetzt geht es los! Dann ernte ich 5-10 Kubikmeter. Auf das ganze Jahr gerechnet komme ich auf 20 Kubikmeter, also 20 Bigbags. Die bringe ich nachhause. Das ist ein sehr gutes Gefühl die Ernte zuhause zu haben. Das ist ein echtes Hochgefühl bei dieser Arbeit.

>> Ein Bauer sagte mal zu mir: „In der Ernte bist du schlimmer als die Bauern“, und das nahm ich dann als Lob, weil wenn das Seegras kommt, dann muss ich es holen.<<

Und wie geht es dann weiter mit dem geernteten Seegras?
Nach der Ernte geht die Arbeit eigentlich erst richtig los. Dann geht die Arbeit viel länger. Wenn ich eine Woche ernte, dann bin ich in etwa eine Woche damit beschäftigt das Seegras mit Süßwasser per Hand zu waschen. Da stehe ich an einem 1000 Liter Fass und wasche. Das kann man sich vorstellen wie früher die Waschfrauen. Immer rein und spülen. Vor allem muss ich alles raussuchen, was das Meer mit anspült: Vogelfedern, Algen und so weiter. Netterweise erstaunlich wenig Müll. Auf den ganzen Prozess betrachtet ist das die e Hauptarbeit. Ich muss am Ende aus der Mischung vom Strand auf 100% Reinheit kommen. Wenn im Seegraskissen noch irgendwo eine dicke Vogelfeder oder Blasentang steckt, dann pikst das. Das heißt 100% ist für mich total wichtig, weil ich sonst schlechtere Kissen mache.

Ostwind ist also der gute Wind. Was machst du denn, wenn es mal ein paar Wochen Westwind sind?
Dann mache ich allen anderen Kram, den ich auch noch zu tun habe. Ich habe aber regelmäßig ein Auge auf das Wetter. Das hatte ich gerade erst letztes Jahr, 2020. Bis November oder Dezember hatte ich noch zu wenig Ernte und da werde ich dann nervös. Denn wenn du nur die halbe Ernte hast, dann weißt du auch, dass du im nächsten Jahr nur halb so viel Geld hast. Gott sei Dank kam dann noch einmal im Dezember, kurz vor Weihnachten, ein Schwung Ostwind und da habe ich dann die zweite Hälfte meiner Ernte reingekriegt.

Nimm uns doch bitte einmal in den ganzen Produktionsablauf mit. Was passiert zwischen der Ernte und dem fertigen Kissen genau?
Meine Arbeit lässt sich in den folgenden Schritten beschreiben: Ernten, Waschen, Abtropfen, Trocken, Stopfen und Verkaufen. Bei einigen Kissen ist dann noch der Versand mit dabei. Also das sind die wesentlichen Arbeitsschritte. Die Ernte geht schnell, das Waschen geht auch schnell, aber das Trocknen dauert lange und ist umso effektiver, je mehr man es umlegt. Genau wie der Bauer, der will das Heu auch immer wenden. Die Wäsche geht auch viel schneller, wenn man sie bei der Hälfte einmal umdreht. So geht es dem Seegras auch. Ich habe lange damit zu tun das Seegras immer wieder zu wenden und mal aufzulockern. Manchmal hänge ich es auf, manchmal lege ich es hin. Das ist eine ziemlich variable und auch arbeitsreiche Geschichte. Seegraskissen stopfen dauert jetzt für mich mittlerweile glaube ich eine Minute, also der letzte Arbeitsschritt.

Du erntest also manchmal bis Dezember. Wann ist die Saison für dich komplett beendet? Geht die Verarbeitung direkt in die neue Saison über oder hast du zwischendurch auch Pause?
Normalerweise ist mein Wunsch bis Weihnachten mit dem Waschen und dem Trockenen fertig zu sein, weil es bis Weihnachten immer noch relativ mild ist. Januar und Februar können so kalt werden, dass es auch richtig wehtut, mit den Händen das Seegras zu waschen, trotz dicker Gummihandschuhe.

Bei mir ist das Verkaufen recht speziell. Ich bin da eher wie ein Imker. Das heißt wenn ich meine Produktion fertig habe, dann kann ich verkaufen. Und ich habe es mir jetzt zur Regel gemacht, dass ich immer am ersten Tag des Jahres, am zweiten Januar, meinen Laden aufmache, Bestellungen annehme und ein gewisses Kontingent verkaufe. Also das waren in diesem Jahr 100 Pakete, so 150 Kissen über den Daumen. Da bin ich dann auch den Januar über beschäftigt. Dummerweise ist es der Januar, da es in meiner Scheune kalt ist. Ich muss dann dort Kissen stopfen und Pakete packen, eigentlich ist das der unangenehmste Teil von allem. Da muss ich mich im Januar auch manchmal quälen. Ich arbeite dann aber auch nicht acht Stunden am Stück, sondern ich haue mal einen Schlag rein für zwei Stunden und danach gehe ich rein und mache was anderes. Dieses Jahr und auch in den letzten Jahren war ich dann im Januar fertig mit meinem Jahresumsatz und ich kann mich dann bis Mitte August, also tatsächlich ein halbes Jahr, auf andere Sachen konzentrieren.

Gibt es in deiner „freien“ Zeit dann irgendetwas, was du für die Seegrasernte schon vorbereiten musst?
Alles was mit dem Seegras zu tun hat, hat Vorrang. Dieses Jahr zum Beispiel baue ich noch einmal die ganze Waschanlage um. Das muss bis zur Saison fertig sein und stehen. Aber normalerweise, wenn mein ganzes Equipment in Ordnung ist, kann ich tatsächlich andere Sachen machen. Ich könnte auch, wenn ich keinen Sohn hätte, ein halbes Jahr wegfahren. Es ist möglich mit Seegras dem Nerv der Arbeit zu entkommen.

„WAS MIT SEEGRAS“ – EIN BERUF DER ZUKUNFT?!  

Kannst du dir vorstellen, dass es in der Zukunft einfacher wird, sich beruflich mit dem Seegras auseinanderzusetzten?
Also ich habe 2019 einen Wochenendworkshop mit dem Titel „Von Seegras leben“ angeboten, da waren 20 Leute, den ich quasi alles gezeigt habe in einer Art Crashkurs. Ich werde das sicherlich noch häufiger anbieten. Und vielleicht gibt es irgendwann auch eine Spezialisierung in handwerklichen Berufen, zum Beispiel Polsterei Richtung Bootspolster mit Seegras, das ist eine ganz tolle Kombi, da Seegras an Bord nicht schimmelt.

Im Moment ist Eigeninitiative noch gefragt, aber das ist auch das Spannende. Für manche Leute ist das nichts, manche wollen einfach einen entspannten Job machen und dafür Geld bekommen, für die muss der Job nicht die Erfüllung sein. Für die ist es vielleicht nicht unbedingt was. Es ist eher etwas für Menschen, die selbstständig sein wollen, für Leute die einfach ihre Ideen versuchen umzusetzen. Also Eigeninitiative und Entdeckergeist sind Eigenschaften, die hier gefragt sind.

Wer heute was mit Seegras machen will, muss sich selbst informieren. Es existiert noch keine Lehre und kein Studium. Wir stehen noch so wunderbar im Anfang, dass Menschen die eigene Initiative zeigen, damit was werden können. Und so bringt jeder seine Mischung mit ein. Es gibt eine Kindergärtnerin, die geht mit Kindern an den Strand, hat zehn Eimer dabei, dann können die das Seegras waschen und später trocken. Es gibt eine Frau, die in einem Tourismusbüro arbeitet und dort versucht das Seegras mit einzubringen.

>> Wer heute was mit Seegras machen will, muss sich selbst informieren. Es existiert noch keine Lehre und kein Studium. Wir stehen noch so wunderbar im Anfang, dass Menschen, die eigene Initiative zeigen, damit was werden können.<<

Das momentane Stadium ist perfekt für Menschen, die einen inneren Impuls empfinden etwas tun zu müssen, aber das Gefühl haben nicht einfach weggehen zu können, um ein Leben woanders neu zu starten. Denn wenn das Interesse für Seegras und die Leidenschaft etwas Neues zu machen da ist, ist jetzt ein guter Zeitpunkt. Gestern hatte ich ein Telefonat mit einer Studentin aus Kiel, die Seegras pressen und daraus Dämmstoffmatten herstellen wollen.  (Anm.d.Red. Die Rede ist von „rematter“ aus Kiel – mehr zu dem Projekt, das von Masterstudierenden des CAU-Studiengangs „Sustainability, Society and the Enviroment“ initiiert wurde, erfahrt Ihr hier in unserem OceanUp Sh Portrait >>>)

Ein Interview von Max Nettlau

KRISTIAN DITTMANN ÜBER DEN ROHSTOFF SEEGRAS

Du scheinst zurecht vom Rohstoff Seegras überzeugt zu sein. Aber was macht Seegras denn so besonders?
Seegras ist die einzige Stopfwolle aus dem Meer und hat damit nicht nur viel bessere Eigenschaften als jegliches Kunstmaterial, wie mittlerweile den meisten Menschen klar ist. Sondern auch gegenüber anderen Naturmaterialien ist es besser, da Seegras ein Wasserprofi ist. Bei allen Textilien achten wir darauf, dass sie nicht stockig werden. Also dass sie gelüftet sind. Seegras muss nicht gelüftet werden, weil es von sich aus mit Feuchtigkeit leben kann. Man könnte in einen feuchten Keller eine Seegrasmatratze hinlegen. Man hätte dort dann zumindest ein sauberes Bett, das nicht schimmeln kann.

>> Seegras ist die einzige Stopfwolle aus dem Meer und hat damit nicht nur viel bessere Eigenschaften als jegliches Kunstmaterial, wie mittlerweile den meisten Menschen klar ist. Sondern auch gegenüber anderen Naturmaterialien ist es besser, da Seegras ein Wasserprofi ist.<<

Die aktiven Bestandteile von Seegras sind Iod und Bohr. Zwei Elemente, von denen wir durchaus zu wenig haben und die wichtig sind für die Schilddrüse, Zellkommunikation und wie jeder weiß ist Iod ein Desinfektionsmittel. Diese Wirkstoffe sind so stark, dass man sie fast sogar zur Heilung einsetzen kann. Wer auf Seegraskissen schläft, schreibt über das Nachlassen aller folgenden Symptome, die beim Schlafen stören: Schwitzen, Schnarchen, Nackenschmerzen, Allergiker niesen weniger, viele Leute sagen, dass sie tiefer und besser schlafen.

Ich glaube es ist dann in der Summe auch, dass man sich auf Seegras wohlig fühlt und geborgen fühlt. Das ist so, wie es der liebe Gott es sich gedacht hat und das spürt man. Ich glaube, dass man in Seegraskissen auch einfach besser zur Ruhe kommt, vielleicht sogar von störenden Gedanken, wie Kopfkino. Es kommt auch vor, dass Leute auf Seegraskissen vom Meer träumen, denn der Geruch scheint unterbewusst in die Träume einzufließen.

Was sind die Herausforderungen, wenn man mit Seegras arbeitet?
Seegras ist als Rohstoff sehr ungewiss. Ich habe ja keinen aktiven Einfluss auf mein Seegras, ich warte einfach am Strand, bis es kommt.  Ich darf ja nicht rausfahren und das Seegras im Meer ernten, dort ist es nämlich geschützt. Das bedeutet, man ist immer auf den richtigen Wind und die richtige Mischung angewiesen. Ganz viel Seegras kann ich nämlich gar nicht verwerten, da es viel zu durchwirkt ist mit anderen Stoffen. Nach Sturm sagen die Leute immer: das muss ja klasse für dich sein, da hast du bestimmt eine Menge geerntet. Aber ein Sturm ist eine Katastrophe, da die Wurzel der Seegräser ausgerissen werden können und ich dann doppelt so lange brauche, um die Wurzeln alle abzuknipsen.

>> Seegras macht dich demütig, du bekommst es nicht einfach, nur weil du es haben willst. Du musst clever sein, du musst auf der Suche sein.<<

Und wegen all dieser Unsicherheiten sollte man, wenn man mit Seegras zu tun hat und auch davon leben will, ganz (lacht) konservativ in der Betriebsführung und -planung sein. Man sollte nicht auf einmal einen großen Kredit aufnehmen. Man sollte, und dies ist vielleicht ein schöner Nebeneffekt, demütig sein. Seegras macht dich demütig, du bekommst es nicht einfach, nur weil du es haben willst. Du musst clever sein, du musst auf der Suche sein.

Und das funktioniert natürlich dann betrieblich sehr viel besser, wenn man kein betriebliches Risiko zu tragen hat. Wer mit Seegras arbeitet, der sollte das auf eine leichte spielerische Art machen, die sich langsame entwickeln kann und keine großen Ausgaben machen, sondern sich das, was man als Arbeitsmaterial braucht, so zusammensuchen. Wenn man einen Betrieb hat von zwei und mehr Angestellten, dann kann dir das ganz schnell das Genick brechen.

Als kleiner Betrieb wiederum kannst du viel flexibler reagieren. Ich mach z.B. jetzt auch, weil es sich angeboten hat, Strandwanderungen mit Menschen und halte Vorträge über Seegras. So kann ich es ausbalancieren, wenn die Ernte mal nicht so gut ist. Dann mache ich halt ein paar mehr Vorträge. Also lieber flexibel bleiben und nicht denken, dass durch große Investitionen auch viel Geld reinkommt. Damit würde man dem entgegenarbeiten, was im Seegras steckt. Nämlich eine ganz große Lässigkeit, eine große Ruhe und Zufriedenheit.

Du beschäftigst dich jetzt seit 2013 mit Seegras. Wie hast du es geschafft, dass das Thema Seegras als Rohstoff in den Köpfen der Leute angekommen ist? Vor ein paar Jahren war das Wissen fast verloren gegangen.
Also zum einen ist die Strand-Manufaktur zeitgleich mit zwei Betrieben gestartet. Einer zu Dämmmaterial und einer zu Erden und Dünger, die sich selbst auch immer weiterverbreitet haben. Dann ist zum Beispiel ein von der EU gefördertes Projekt: Posima. Die haben ganz viel Wissen zusammengetragen und zum Beispiel die erwähnten Seegrasfilme und viele Veranstaltungen gemacht. Deswegen bin ich überhaupt nicht der Einzige.

Die Szene ist überschaubar, wir haben uns auch immer wieder bei Veranstaltungen getroffen. Mittlerweile sind das bestimmt an die 100 Menschen, die damit was zu tun haben. Und alle wirken mit, dass sich das Thema weiterverbreitet. In meinem Fall kann ich dann sagen, dass irgendwann die Zeitung kamen, lokal und regional Zeitungen. Und Irgendwann stand dann auch der NDR vor meiner Tür und das Thema Seegras war für den NDR sehr dankbar, da alle Attribute, die Schleswig-Holstein verkörpert in diesem Vorabendprogramm aufgenommen werden können. (Anm.d.Red: hier geht es zum NDR-Beitrag >>> )

Das heißt: Seegras ist am Strand, kommt aus dem Meer, ist ein altes traditionelles Handwerk, ist gesund und tut gut, ist also auch öko. Da entstehen viele tolle Bilder, z.B. wie ich in Eckernförde am Strand stehe und das Seegras ernte. Das sind genau diese tollen Strandbilder, das da jemand steht und am Strand arbeitet. So etwas finden die Journalist*innen spannend und toll, ich weiß das, ich war ja selbst mal einer. Die waren, glaube ich, vier Mal da und wäre das Lobbyarbeit gewesen, hätte man vermuten können, die versuchen das Thema Seegras in die Öffentlichkeit zu drücken. Aber hier geht es ja um keine Lobby. Das Nord-Fernsehen wird von Menschen aus der ganzen Republik geschaut. Dadurch hat sich in ganz Deutschland eine Art Seegras-Boom entwickelt. Das kann ich an den Bestellungen ablesen, da sind Postleitzahlen aus allen Teilen Deutschlands mit dabei.

SEEGRAS: DEIN JOB? DEINE INFOS!

Falls ihr euch noch weiter in das Thema Seegräser einlesen wollt, haben wir hier ein paar weiterführende Infos aufgelistet:

Hier geht es direkt zu der Seite von Kristians Strandmanufaktur: strand-manufaktur.de

Wenn ihr mehr über den Menschen Kristian Dittmann erfahren wollt, seid ihr hier genau richtig: kristiandittmann.de

Posima ist ein Informationsportal über Treibsel, wo ihr euch super durchklicken könnt: posima.de; dazu gibt es tolle Videos auf Youtube über Seegras

In Kiel beschäftigen sich einige Masterstudierende auch mit Seegras: Rematter ; Der Ocean Summit hat bereits im Rahmes des OceanUp SH ein Interview mit dem jungen Start-Up führen können. Hier geht es direkt zum Interview

Seegras ist vielseitig und kann auch als Dämmmaterial genutzt werden. Mehr Infos gibt es bei : seegrashandel.de

Was Seegras alles kann, erfahrt ihr hier auch vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume SH

Für alle Wissenschaftler*innen unter euch geht es hier zu einer Studie von Dr. Ivo Bobsien über Seegräser in der Ostsee (veröff. 2015)

Eure Perspektiven mit Seegras: Wegweiser-Worte an Euch von Kristian Dittmann

Ich gebe euch eine Bedienungsanleitung mit. Wenn du bis hier hin gedacht hast, das mit dem Seegras finde ich interessant, dann kommt nun eine Anleitung mit dem, was du tun kannst:

Ich gehe davon aus, dass du an der Küste leben möchtest, du brauchst nicht viel Geld, du findest die Vorstellung traumhaft ein Teil deiner Arbeitszeit am Strand zu verbringen, du würdest liebend gern ein sinnvolles Produkt herstellen, das den Leuten wirklich guttut. Und jetzt kommt die Anleitung dazu:

Deine nächsten Ferien planst du als Wanderung an der deutschen Ostseeküste entlang und du gehst immer am Strand entlang. Du gehst einfach die Küste ab und guckst dir an, wie die Küste beschaffen ist. Du besorgst dir vielleicht eine Seekarte. Auf der Seekarte sind die Tiefenlinien vom Wasser angegeben und du guckst, wo das Wasser bis zu 10 Meter tief ist, denn bis dahin wächst das Seegras. Also wo das Meer möglichst flach ist. Wenn es gleich nach dem Strand auf 30 Meter tiefe geht, müsst ihr da nicht gucken, da wird kein Seegras ankommen. Du benötigst einen seicht abfallenden Sandstrand und dann guckst du, wenn du am Strand entlangläufst, was es da alles gibt. Z.B. ist ein bisschen Infrastruktur gar nicht schlecht. Vielleicht ein Imbisswagen, eine Stranddusche und ein Parkplatz aber nicht unbedingt mehr. Einen Anschluss zum Süßwasser, mehr brauchst du eigentlich nicht.

DU suchst dir also in deinen Wanderferien deinen Standort für die Zukunft aus. Am besten machst du das natürlich im Herbst, weil du dann direkt mitbekommst, wo das Seegras angeschwemmt wird. Da gibt es bestimmte Anzeichen, worauf du achten musst, um zu erkennen, wo finde ich wieviel Seegras aber das würde hier den Rahmen sprengen. Wichtig ist wo finde ich möglichst viel Seegras mit möglichst wenig Beimischung. Und dann guckst du drumherum, ob es in der Nähe ein Dorf gibt. Direkt am Strand wohnen geht leider nicht. Also musst du dir einen Ort zum Leben suchen. Du guckst dir also ein Dorf an und gehst einfach mal zum Bürgermeister und fragst den, wie hier die Stimmung ist und wie gut Seegras ankommen würde. Wichtig ist es auch mit den Fischern zu schnacken, die können dir auch meistens sagen, ob am Strand viel Seegras ankommt. Und dann hörst du dich in der Gemeinde mal rein, ob es schon Leute gibt, die etwas mit Seegras machen und wie die allgemeine Stimmung ist. Sagen die Leute „Ach ne lass mal wir brauchen hier keine Neuen oder ob die sagen das ist ja wirklich interessant!“. Und so kannst du deinen Lebensort finden der in direkter Nähe zu deinem Arbeitsplatz steht. Anders als bei mir, ich muss immer 25 km zu meinem Arbeitsplatz fahren, dass nervt. Viel schöner wäre es einfach mit der Schubkarre direkt an den Strand zu fahren.

Und so fängst du dann einfach an das Seegras zu ernten, mit Süßwasser zu waschen und zu trocknen. Wie das geht, kann man erklären, brauch man aber nicht, denn die Arbeit ist so intuitiv, das ich einer Grundschulklasse innerhalb von 10 Minuten das Prinzip beibringen konnte. Also wenn du was mit Seegras machen willst, brauchst du mich nicht. Du musst einfach deinem eigenen Gefühl, deiner Erfahrung und deinem Verstand folgen, das reicht. Dann überlegst du dir, was du gerne daraus machen möchtest. Du musst ja keine Kissen herstellen. Du kannst ja alles mögliche, was Textil ergibt, was irgendwie gestopft wird. Sei es Winterfutter für hochwertige Mäntel und Jacken, seien es irgendwelche Spezialkissen oder Boxsäcke.

Überleg dir was! Mach irgendetwas, was die Leute brauchen. Und ich mache Kissen, das ist überhaupt nichts besonderes. Aber alle Leute brauchen Kissen und 30% aller Deutschen schlafen schlecht. Das macht meine Zielgruppe von ungefähr 27 Millionen und die ist größer von VW. Seegras ist eine Quelle. Das ist so ein bisschen wie so ein Baum, der erst so wie ein kleiner Spross rauskommt und dann ganz viele Zweige hat. So kannst du einen Baum malen. Am Stamm steht Seegras und du könntest auf jeden Ast schreiben, was man noch mit Seegras machen könnte.

Dann baust du dir eine kleine Webseite und dann geht´s los. Vielleicht einen kleinen Marktstand, das ist immer gut. Aber ich habe zum Beispiel noch nie Werbung geschaltet. Wenn du mit Seegras zu tun hast, brauchst du im Moment noch keine Werbung schalten. Das läuft von alleine an.

Unter dem Summenstrich möchte ich sagen: Wer denkt, dass das was Cooles wäre für ihn oder sie, fängt an den Strand abzuwandern. Das ist der allerbeste erste Schritt und außerdem sind es wunderbare Ferien!

EUER KRISTIAN DITTMANN