Dem Meer fehlt eine starke Lobby! – Rückblick Ocean Summit Podium 20.08.2020

Die Video-Aufzeichnung der hier besprochenen Veranstaltung ist ab sofort Teil der Ocean Summit Mediathek bei Vimeo – und zudem ganz unten in diesen Beitrag eingebettet. Im folgenden Beitrag findet Ihr eine schriftliche Zusammenfassung des Podiums, inklusive einiger weiterführender Links und Videos. Viel Spaß!

Kiel, 26. August 2020. Wir freuen uns über eine gelungene Podiums-Premiere für den Kieler Ocean Summit. Mit vielen guten Beiträgen, spannenden Einblicken und Ansichten wie auch kritischen Gedanken, setzten die Beteiligten der Hybrid-Veranstaltung “Meeresschutz ist Klimaschutz” am 20. August im Kieler Kesselhaus und im Livestream einen vielversprechenden, weiteren Impuls für den Meeresschutz.

Im Podium trafen die designierte Geomar Direktorin und Ocean Summit Schirmherrin Katja Matthes, der Kieler Fridays For Future Aktivist Ole Willerich sowie Moderator Prof. Dr, Christian Berg, alle Drei live auf der Bühne des Kieler Kesselhauses, auf die virtuell zugeschalteten Gesprächspartnerinnen Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) und Barbara Unmüßig, Bundesvorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung.

Während des Abends wurden Zusammenhänge zwischen dem Schutz der Meere und dem Klimawandel aufgezeigt und versucht,  zentrale Herausforderungen und Lösungswege herauszuarbeiten und zu bewerten. Als konkrete Maßnahmen für Handlungen, die national und konkret umgesetzt werden können, traten häufiger Meeresschutzgebiete in den Fokus. Es wurde außerdem auf künstliche Methoden zur CO2-Neutralisierung, über die unterschätzte Rolle der EU als Kontrollinstrument, aber auch über Erwartungen in internationale Abkommen wie die laufende Agenda 2030 oder die kommende “UN-Dekade für Ozeanwissenschaft” eingegangen.

Eine weitere, häufig eingebrachte Feststellung des Plenums: Die Transformation und Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik untereinander, wie auch die dazugehörige Einbeziehung der Gesellschaft, müsse dringend verbessert werden. Als großes Hindernis für wahrhafte Veränderungen wiederum sehen die Beteiligten vor allem eines: eine fehlende, durchsetzungsfähige Lobby für das Meer.

Bevor Katja Matthes in ihrem Einstiegsvortrag  “Klimawandel findet auch im Ozean statt” (Video Minute 13:30 bis 34:04 ) näher auf Erkenntnisse und Aussichten im Bereich Klima- und Meeresforschung einging, nahm die Klimawissenschaftlerin Bezug auf den Nachhaltigkeits-Standort Kiel: “Ich denke, dass wir in Kiel und in Schleswig-Holstein dank exzellenter Einrichtungen im Bereich der Meeresforschung unheimlich gut aufgestellt sind im. Wir haben neben dem Geomar, die Christian-Albrechts-Universität, die Fachhochschule, die Muthesius Kunsthochschule, das Institut für Weltwirtschaft und viel andere Einrichtungen. Kiel ist seit 1995 Klimaschutzstadt. Es gibt einen Masterplan. Kiel kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen, vor dem Jahr 2050 klimaneutral zu werden.”

Zudem unterstrich Matthes einführend die zentrale Bedeutung des Meeresschutzes: “Ich glaube, dass wir zu einem nachhaltigen Umgang mit den Meeren kommen müssen, um die großen Herausforderungen der Gesellschaft in den nächsten Jahren gemeinsam als ganze Gesellschaft anzugehen. Insbesondere der Meeresschutz und Klimaschutz muss ganz vorne angestellt werden.”

In ihrem Impulsvortrag ging Matthes näher darauf ein, dass der Klimawandel nicht nur für eine Erwärmung der Atmosphäre, sondern auch die der Ozeane sorge. Mit einem Einblick in den Bericht des Weltwirtschaftsforums “Global Risks Report 2020” machte Matthes außerdem darauf aufmerksam, dass im Jahr 2020 die ersten fünf der dort genannten Risikofaktoren alle in Verbindung mit dem Klimawandel stehen.

Katja Matthes betonte die Bedeutung der Bewegung Fridays For Future und deren Zusammenarbeit mit Scientists For Future. Die Einbeziehung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse in Kombination mit der neuen, internationalen Klimabewegung sei eine Chance, die Klimakrise wieder auf die politische Agenda zu bringen. Zumal die Corona Krise gezeigt habe, dass Veränderungen und Maßnahmen jederzeit möglich seien, wenn es denn gewollt ist.

Matthes referierte weiter, und kam deutlicher auf erforderliche Maßnahmen zu sprechen:  “Nur eine Reduzierung der Treibhausgase wird nicht ausreichen. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Treibhausgase künstlich aus der Atmosphäre entfernen können. Wir brauchen eine klimaneutrale Wirtschaft. Wir müssen die Wirtschaft dekarbonisieren. Wir brauchen eine tiefe gesellschaftliche Transformationen. Die nächste Dekade muss als Jahrzehnt der Energie- und Mobilitätswende in die Geschichte eingehen. Und wir müssen uns über nachhaltige Landwirtschaft unterhalten!” 

Abschließend ging Matthes auf  “Die Rolle negativer Emissionen” und die verschiedenen Möglichkeiten von Climate Engineering ein. Das Hintergrund Video, auf welches sie sich in ihrem Vortrag bezog, könnt ihr hier sehen

Im Anschluss an den Vortrag von Katja Matthes leitete Moderator Dr. Christian Berg dazu über, näher auf konkrete politische Forderungen und Maßnahmen im Meeresschutz einzugehen.  

Hierzu äußerte sich zunächst die Bundesvorsitzende der Heinrich-Böll Stiftung Barbara Unmüßig und fasste ihren Maßnahmenkatalog zusammen unter dem Titel: “Schädliches Lassen!”  Hierzu zählt Unmüßig unter anderem die Überfischung der Meere und den dringenden Bedarf an nachhaltigen Fangquoten, den Stopp von Bergbau und Schürfungen sowie den Stopp der Stoffeinträge durch die Landwirtschaft in die Meere. Als ganz zentral betrachtet Barbara Unmüßig außerdem die Einrichtung von Meeresschutzgebieten und fordert:

“Wir müssen Meeresschutzgebiete ausweiten! Diese große Meeresoberfläche steht gerade mal mit 3,5 Prozent unter Schutz. Und selbst diese Meeresfläche ist nur zu 1,5 Prozent komplett geschützt. Das heißt, dass selbst in den geschützten Zonen noch Bergbau betrieben und gefischt werden darf. Ich finde es sehr gut, das Greenpeace in der Ostsee Gesteinsbrocken in die Schutzgebiete geworfen hat, damit keine Schleppnetze mehr den Ostseeboden abfischen könne. Solche Aktionen brauchen wir, um darauf aufmerksam zu machen, dass selbst in Schutzgebieten weiterhin gefischt werden kann!”

Grundsätzlich sprach Barbara Unmüßig außerdem eine notwendige Veränderung an, welche während verschiedener Ocean Summit Veranstaltungen aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder Erwähnung findet – das Bewusstsein der Menschen gegenüber der Natur. Unmüßig plädierte: “Das Meer – das größte, dynamischste, wichtigste Ökosystem der Welt hat keine Institution, die den Schutz im Fokus hat.  Wir brauchen einen komplett anderen Zugang zum Meer. Wir müssen es als Gemeingut, als Global Common, als echtes Erbe der Menschheit betrachten und müssen weg von diesem territorialen Anspruch der Regierungen.” 

Moderator Christian Berg, Kieler Experte für Nachhaltigkeit, bestätigte den Bedarf, zweifelt jedoch gleichzeitig an der Beständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit von Global Governance und fragte daher Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke direkt: Was müsste Deutschland konkret tun, um sich im Meeresschutz zu verbessern?

Steffi Lemke, studierte Agrarwissenschaftlerin und gleichzeitig Gründungsmitglied der Grünen, sieht für Deutschland zwei zentrale Punkte, die den Meeresschutz stärken könnten: “Ich glaube, dass aus deutscher Sicht die Ausweisung und Inkraftsetzung der Meeresschutzgebiete als Null-Nutzungszonen bedeutend ist. Was man national außerdem tatsächlich machen kann, und was vor allem für die Ostsee sofort einen Effekt hätte, wäre die Begrenzung der Düngung durch die Küstenanrainer.”

Hier setzte Christian Berg an und hakte bei der Agrarwissenschaftlerin Lemke nochmals nach, warum es trotz des nachgewiesenermaßen hohen Umfangs an landwirtschaftlich bedingten Nitratüberschüssen im Meer seit 20 Jahren noch immer keine Änderungen gebe? 

Daraufhin ging Steffi Lemke auf einen fehlenden “Meres-Lobbyismus” und den mangelnden, wissenschaftlich-politischen Austausch ein: “Ich glaube die Meere haben eine viel zu geringe Lobby in Deutschland. Wir sind alle gerne am Meer. Wir haben diese Illusion weil die Meere so beliebt sind, haben sie auch eine große Lobby – das ist aber nicht so. Ich bin die einzige in der Fraktion der Grünen, die als Sprecherin für Meeresschutz fungiert. (…) Meine Erfahrung aus sieben Jahren Meeresschutz-Arbeit in der Bundestagsfraktion ist, dass die Verbindung aus Wissenschaft und Umweltpolitik nach wie vor zu gering ist. Trotz hervorragender Forschung in Deutschland ist der Transfer in das Umweltministerium nicht ausreichend, also allein zwischen diesen beiden Häusern, aber auch zwischen Forschungs- und Umweltpolitiken, findet noch zu wenig Austausch statt.” 

An diesem Punkt setzte Ole Willerich, Schüler und Kieler Fridays For Future Aktivist, an und forderte: “Die Politik muss auf die Wissenschaft hören und mit Maßnahmen reagieren. Deutschlands Anspruch sollte es sein, sich in seiner Rolle international verantwortlich fühlen. Und EU- wie weltweit eine Vorreiterrolle im Bereich Meeresschutz einnehmen und vernünftige Meeresschutzzonen einzurichten, damit die Biodiversität geschützt wird.”

Moderator Berg, der als Wissenschaftler selbst bereits eine Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppe für die Bundesregierung leitete, warf darauf ein: “Es ist nicht damit getan Politikern zu raten was zu tun ist. Die Politik weiß häufig sehr genau, was zu tun ist. Aber dem stehen massive Lobbyinteressen entgegen. Ich spreche von strukturellen Silos, weil wir immer mehr in die Tiefe gehen und immer weniger das Integrative sehen. Wie kann man Transfer von Wissenschaft zu Politik, aber auch die Interdisziplinarität innerhalb der Wissenschaft voranbringen, wenn die Hauptanreize immer noch Spezialisierung und Fachidiotentum voranbringen?”  

Katja Matthes sieht gute Aussichten für einen Rückgang  des „Silo-Denken“-Prinzips und weist dabei auf das Kieler Beispiel “Future Ocean Excellence Cluster”, an dessen interdisziplinären Gedanken weiter festgehalten werden soll. “Natürlich ist es als Klimawissenschaftlerin frustrierend, dass wir diese Kenntnisse seit 30 Jahren haben und nichts passiert. Ich glaube, dass jetzt die Chance dazu ist, besser zu werden. Es ist ein umfassendes Thema. Es reicht nicht, dass wir uns nur die Atmosphäre angucken oder den Ozean oder die Überfischung oder den Plastik im Ozean. Wir müssen es als gesamtes System denken. Und wir müssen viel besser werden im Bereich des Transfers der Wissenschaft und die Gesellschaft bei der Transformation der Gesellschaft auch mitnehmen. Es reicht nicht, zu sagen, ihr sollt kein Auto mehr fahren, man muss auch Alternativen haben.” Matthes schloss ihre Antwort mit der Ergänzung: “Wir brauchen eine neue Generation von Wissenschaftler*innen, die wirklich auch Verantwortung übernehmen müssen, und das, was wir erkennen auch klar kommunizieren und damit Politiker dazu bringen, Rahmenbedingungen zu schaffen.”

Im weiteren Verlauf der Gesprächsrunde wiesen Steffi Lemke und Barbara Unmüßig der Wissenschaft auch eine entscheidende Rolle bei zukünftigen, politischen Ziel- und Nutzungskonflikten im Bereich Meeres- und Naturschutz zu. Als konkrete Beispiele wurden hier die Konflikte beim Ausbau erneuerbarer Energien und der höheren Nutzung von Meeresressourcen genannt: die Belastung der maritimen Umwelt aus Klimaschutz Gründen sei ein bisher unlösbarer, herausfordernder Konflikt. Deshalb, so Barbara Unmüßig, müssten gesellschaftliche Debatten darüber deutlich zunehmen. Denn “Wenn wir Transformationen ernst nehmen, wird es keine Win-Win-Situationen geben, daher müssen wir nach Ausgleichsleistungen suchen.”

Aus dem Livestream-Chat folgte dann eine  Frage an Steffi Lemke: Braucht die Politik mehr Druck aus der Öffentlichkeit, um zu reagieren?

Steffi Lemke: “Ja. Wir werden in den kommenden Jahren massive Bestrebungen erleben, die maritimen Ressourcen mehr auszubeuten. Der Ausbeutungsdruck auf die Meere wird durch den Rohstoffmangel ansteigen. Und wenn das alles außerhalb der Öffentlichkeit passiert – wir Parlamentarier sind in vielen Dingen ja gar nicht mit einbezogen, die Verhandlungen zur Fischereipolitik sind ausschließliches Exekutivhandlungen – werden sie für die Meeresumwelt katastrophal enden. Deshalb braucht es öffentliche Beobachtung und Druck. Denn: Es sind unsere Meere, sie gehören weder der Fischereiindustrie noch Shell, sondern der Menschheit. Und wenn es uns gelingt, DAS im internationalen Recht so zu verankern, wäre das ein riesiger Fortschritt.”

Als Moderator Christian Berg anschließend darauf einging, woher Fridays For Future ihre Kraft zum Streiken hernehme, gab Ole Willerich zu Bedenken, dass das Streiken tatsächlich frustrierend sei, auch wenn man sich bewusst sei, eine öffentliche Debatte geschaffen zu haben. Das Bewusstsein für notwendige Veränderungen sei da. Schließlich sprach Willerich eine von vielen Widersprüchlichkeiten im Klimaschutz ein: “Meeresschutz kostet, Dinge zu verändern kostet. Aber wir müssen darauf achten, dass wir nicht auf die Kosten des Meeresschutzes leben. Wir können nicht immer mit den dreckigsten Schiffen über das Weltmeer schippern. Gerade diese Kosten müssen mit eingerechnet werden, Kreuzfahrer bringen Geld ein, aber auch diese Schiffe müssen Klimaschutz betreiben. Es passieren hier viele Widersprüche. Wir fahren ins schöne Eis  – und tragen damit dazu bei, dass dieses Eis nicht mehr lange da ist . Wir sollten nicht auf Kosten des Meeres leben, sondern auf unsere eigenen.”

Das Ocean Summit Podium “Meeresschutz ist Klimaschutz”  schloss mit der Frage Christian Bergs, auf welcher Ebene die Beteiligten wohl die höchste Handlungsfähigkeit sehen?

Ole Willerich sieht, wie alle anderen prinzipiell auch, nur eine Mehrebenen-Lösung als wirksam: Egal ob lokal oder global, es reicht nicht auf einer Ebene zu handeln, man muss auf allen Ebenen gleichzeitig handeln, um jetzt und schnell Veränderungen herbeizuführen.”  Unmüßig, Lemke und Matthes betonten darüber hinaus die Bedeutung der Zivilgesellschaft und der EU.Die EU-Kommission ist aktuell ein sehr mächtiges Instrument und betreibt eine viel radikalere Umweltpolitik als die Bundesregierung und als die EU-Staaten als Nationalstaaten,” beschrieb Steffi Lemke und führte fort, “wir haben mächtige Instrumente auf EU-Ebene. Es wird bei den Meeresschutzgebieten zum Beispiel ein massiver Druck auf die Nationalstaaten ausgeübt. Wir müssen dieses Instrument stärken.” 

Katja Matthes wiederum appellierte an jeden Einzelnen: Think global, act local. Das Meer gehört uns allen. Wir müssen es zu einem Gesamtthema machen, aber die nachhaltigen Veränderung hier lokal vor der Haustür tätigen und uns auf Werte wie Regionalität oder Beschleunigung besinnen.”  Barbara Unmüßig wünschte sich darüber hinaus ein Einmischen der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen, egal ob auf lokaler wie regionaler Ebene, wie beispielsweise bei den im Oktober 2020 stattfindenden Verhandlungen zwischen Julia Klöckner mit den Ostseeanrainerstaaten über die Fangquoten des Ostsee-Fisches, als auch auf Europäischer Union. Diese hat beispielsweise noch bis Mitte Oktober 2020 eine offene Online-Konsultation zur internationalen Ozean-Governance laufen Unmüßig motivierte Bürger, aber auch Bewegungen wie Fridays For Future ihre Meeresschutz-Ideen und Forderungen direkt dort einzubringen.

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Das Team vom Ocean Summit bedankt sich bei allen Beteiligten am Podium “Meeresschutz ist Klimaschutz” am 20. August 2020 – die hier gesammelten Impulse, werden Anreize für weitere Veranstaltungen bieten und zeigen: Meeresschutz hat viele Facetten – jede von ihnen ist bedeutend. 

Video: Meeresschutz ist Klimaschutz – Ocean Summit Podium 20. August 2020