Ostsee-Fangquoten 2022: Zahlen, Hintergründe und Lesetipps
Jedes Jahr im Oktober werden die Ostsee-Fangquoten für das jeweils kommende Jahr festgelegt. Der Entscheidungsprozess über die Quoten findet auf EU-Ebene statt. Welche Veränderungen am 12. Oktober 2021 veröffentlich wurden und was sie ab dem Jahr 2022 für die Ostseefischerei mit sich bringen, erklären wir Euch im folgenden Beitrag. Zudem möchten wir Euch einige grundsätzliche Infos über das Prozedere der Fangquoten-Festlegungen und über wichtige Begriffe informieren.
Die neuen Quoten: In der westlichen Ostsee darf im Jahr 2022 kein Dorsch mehr aktiv gefangen werden, sondern nur noch als Beifang in Höhe von 490 Tonnen. Auch Hering darf ab 2022 deutlich weniger in die Netze gelangen. Die genehmigten Mengen werden auf die verschiedenen Anrainerländer verteilt. Für Deutschland bedeutet das 104 Tonnen westlicher Dorsch als Beifang und 435 Tonnen gezielt gefangener westlicher Hering. Ausnahmeregelungen sind lediglich für kleinere Fischerboote gegeben, die keine aktiven Fanggeräte wie Schlepp- oder Wadennetze verwenden, sondern nur passive Fangmethoden wie Langleihen, Stellnetze und kleinere Reusen bzw. Fallen. (Übersicht zu verschiedenen Fischereimethoden: https://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/fischerei/ueberfischung/fischereimethoden/ UND hier: Verschiedene Fischereimethoden und ihre Auswirkungen « World Ocean Review )
Fangquoten 2022 und 2021 im Vergleich
Die starke Reduzierung der Quoten im Verhältnis zum Vorjahr folgt nach langen Jahren der Missachtung endlich im Großen und Ganzen den wissenschaftlichen Empfehlungen. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES, International Council for the Exploration of the Sea) empfahl im Verhältnis zum Vorjahr für den Dorsch der westlichen Ostsee eine Reduzierung der Quoten um 88 Prozent und um 50 Prozent für den Hering der westlichen Ostsee. Im Vergleich dazu bekam der Dorsch der östlichen Ostsee gar eine Null-Quoten-Empfehlung. Lediglich Scholle und Sprotte erhielten eine geringe Erhöhung. Auch bei der Freizeitfischerei gibt es weitere Reduzierungen, so wird die Tagesfangmenge pro Angler pro Tag beim Dorsch und Lachs auf je ein Fisch reglementiert (Bag Limit), innerhalb der Schonzeit (Januar – März) darf gar kein Dorsch geangelt werden.
Reaktionen der Umweltverbände und des Landwirtschaftsministeriums
Die Meinung und Akzeptanz hinsichtlich der Quoten polarisierte die Reihen. Der BUND begrüßt, dass die Entscheidung zum Großteil der Empfehlung der Wissenschaft gefolgt ist, zeigt aber auch auf, dass noch mehr Dringlichkeit geboten ist. (https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/ostsee-fangquoten-2022-spaeter-wendepunkt-oder-weiter-richtung-kollaps/). Passend dazu spricht Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace von einem nötigen ‚Fischereilockdown‘, um den Kollaps in der Ostsee zu verhindern. (https://www.greenpeace.de/themen/meere/fischerei/ostsee-dorsch-kollabiert). Auch das Landwirtschaftsministerium spricht sich positiv für die Reduzierung der Fischereiquoten aus. Kritisiert jedoch, dass auch die Fangquoten im Skattegat/Kattegat in gleicher Weise reduziert werden müssten, da es sich um den gleichen Fischbestand handelt. Diese Fangquoten werden jedoch erst gemeinsam mit den Nordseefangquoten im Dezember beschlossen. https://www.agrar-presseportal.de/nachrichten/fangquoten-2022-fuer-die-ostsee-kann-deutschland-nicht-mittragen_article31191.html). Auch die Wissenschaftler*innen begrüßen die Reduzierung der Quoten, damit sich die unter Druck stehenden Bestände der Ostsee endlich erholen können. (Fangmöglichkeiten: zulässige Gesamtfangmengen (TACs) und Quoten – Consilium (europa.eu))
Definition Fangquoten bzw. Fischereiquoten
Doch was genau sind eigentlich Fischereiquoten? Im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union legt der Rat für Landwirtschaft und Fischerei, der aus den Landwirtschaftsministern der einzelnen Staaten besteht, diese Quoten regelmäßig fest. Genau gesagt bedeutet das, dass die EU-Fischereiminister die Gesamtfangmengen für die wichtigsten Konsumfischarten jährlich und für Tiefseefische alle zwei Jahre festlegen. Dabei spielen auch der Fangzeitraum und das festgelegte Gebiet eine Rolle. Denn der Bestand von einzelnen Arten kann je nach Fanggebiet und einzelnen Regionen im Meer in verschiedene Populationen aufgeteilt und unterschiedlich betrachtet werden. Deshalb werden lediglich Höchstfangmengen (sog. TACs) festgelegt, damit die ökologische Nachhaltigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Fischerei verbessert werden können, um vor allem dem großen Problem der Überfischung der Meere entgegenzuwirken.
Glossar
Fischbestände – die lebenden Ressourcen einer Meeresgemeinschaft, woraus Fänge getätigt werden. Dazu kann die Population einer oder mehrerer Fischarten, wirbelloser Tiere und von Pflanzen zählen.
Zulässige Gesamtfangmengen (TACs = Total Allowable Catch), auch Fangmöglichkeiten genannt – die Höchstmengen an Fisch, die bestimmten Beständen entnommen werden dürfen (ausgedrückt in Tonnen oder Zahlen).
Quoten (national) – der Anteil an der zulässigen Gesamtfangmenge, der jedem Mitgliedstaat zugeteilt wird
Höchstmöglicher Dauerertrag – die größte Fangmenge, die einem Fischbestand entnommen werden kann, ohne die Größe der Population zu verringern
Beifang – Fische und andere Meerestiere, die zwar mit dem Netz oder anderen Massenfanggeräten gefangen werden, aber nicht das eigentliche Fangziel sind. Dieser Beifang wird jedoch nur in Teilen verwertetet und zum Großteil als Abfall wieder über Bord geworfen.
Neuausrichtung der gemeinsamen EU-Fischereipolitik
Da die gemeinsame Fischereipolitik der EU im Jahr 2014 alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet hat, die Überfischung der Meere zu stoppen, muss der höchstmögliche Dauerertrag eingehalten werden (Maximum Sustainable Yield = MSY). Das ist die maximale Menge an Fisch, die von der jeweiligen Art gefangen werden kann, ohne den gesamten Bestand zu gefährden. Hierbei gehen jedoch die Meinungen auseinander: das Bundesministerium für Ernährung- und Landwirtschaft erklärt 70 Prozent der Fischbestände als nachhaltig befischt, während der WWF kritisiert, dass deutlich mehr gefischt wird, als zum jetzigen Zeitpunkt nachhaltig wäre und dadurch Bestände bis über ihre natürlichen Grenzen hinaus befischt werden würden.
Abstimmungsprozess der Fangquoten
Für die Festlegung der Fischereiquoten macht die EU-Kommission Vorschläge auf Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen, in denen der Zustand einzelner Bestände untersucht wird. Darunter fallen wissenschaftliche Empfehlungen des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) oder die des Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsausschusses für die Fischerei (STECF).
Die Vorschläge der Kommission werden danach im Rat ‚Landwirtschaft und Fischerei‘ der EU besprochen und gemeinsame Rechtsvorschriften beschlossen. Diese Vorschriften sind Teil des Sekundärrechts der EU und da die EU im Bereich der gemeinsamen Fischereipolitik die ausschließliche Zuständigkeit besitzt, sind alle Rechtsvorschriften, die im Rahmen der Fischereipolitik getroffen werden, verbindlich für alle EU-Mitgliedstaaten (https://ec.europa.eu/info/policies/maritime-affairs-and-fisheries_de).
Die festgelegten Gesamtfangmengen werden unter den EU-Staaten dann als nationale Quoten verteilt. Wenn das in einer Quote Erlaubte ausgeschöpft wurde, darf das jeweilige Land dort vorübergehend keine Fische dieser Art mehr fangen. Da die deutschen Gewässer auch an Länder angrenzen, die nicht Teil der EU sind, wie Norwegen oder auch Russland, müssen die Fischereiminister auch mit den jeweiligen Drittstaaten die Quoten verhandeln.
Bedeutung und Ziele von Fangquoten
Sollten diese Quoten langfristig nicht eingehalten werden und sollte also mehr Fisch aus den Meeren gefischt werden, als durch natürliche Reproduktion nachwachsen kann, droht die Gefährdung der Fischbestände. Hierbei sprechen Wissenschaftler*innen von Rekrutierungsüberfischung, wodurch ganze Bestände aussterben könnten. Eine nicht nachhaltige Fischerei schadet also den Beständen bis zum Aussterben und das hat langfristige Konsequenzen für das gesamte Ökosystem Meer. Zusätzlich sind die Fischbestände nicht nur durch die Fischerei gefährdet, sondern auch durch die Folgen des menschengemachten Klimawandels, der Überdüngung, von Baumaßnahmen oder durch eingeschleppte gebietsfremde Arten (Neozoa). So wird zum Beispiel durch die Eutrophierung (Überdüngung) und die steigende Temperatur der Lebensraum der Fischbestände langfristig zerstört. Denn die Überdüngung führt durch Abbauprozesse von massiven Algenblüten zu Sauerstoffmangel im Wasser, welcher durch die höheren Wassertemperaturen durch den Klimawandel noch verstärkt wird. Mangelnder Sauerstoff kann den Laich verschiedener Fischarten vernichten, was wiederrum die Populationserholung negativ beeinflusst. Höhere Wassertemperaturen führen zudem zu einem früheren Schlüpfen der Larven, denen dann aber oft die Nahrung fehlt, weil mikroskopisch kleine Algen (Phytoplankton) erst später im Jahr mit der zunehmenden Sonneneinstrahlung wachsen. Ein Abwandern in kühlere Gewässer könnte die Folge sein, muss aber nicht bedeuten, dass eine Population dadurch gerettet ist. Denn die entsprechenden Nischen im neuen Ökosystem müssen vorhanden (Laichplätze, Futterangebot zur richtigen Zeit) und frei (nicht durch andere Arten belegt) sein.
Zudem stellt sich die Frage, ob solche Quoten überhaut ausreichend sind, um die Fischbestände zu schützen und ihnen Zeit zur Regeneration zu geben. Dahingehend sind sich die Wissenschaftler*innen nicht ganz einig. Klar ist jedoch, dass es ein wichtiges Instrument ist, um die Bestände überhaupt zu schützen. Eine weitere Hilfe dafür ist die sog. Anlandeverpflichtung, die 2019 in Kraft getreten ist. Damit werden Fischer verpflichtet jeden Fang zu melden und diesen auch mit an Land zu bringen, wodurch Beifang, der zuvor wieder über Bord geworfen wurde, jetzt auch in die Fischfangquote eingerechnet wird.
Mehr Hintergründe und Infos zur Fischerei gefällig? Hier findet Ihr mehr:
BMEL Info, News und Publikationen zur Fischereipolitik:
https://www.bmel.de/DE/themen/fischerei/fischereipolitik/fischereipolitik_node.html
MELUND Info und News über Fischerei in Schleswig-Holstein:
WWF Info, News und Publikationen zu Meeren und Fischerei
https://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/fischerei
BUND Info, News und Publikationen zu Meeren und Fischerei
NABU Info, News und Publikationen zu Meeren und Fischerei
https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/meere/fischerei/umweltschonende-fischerei/index.html
GREENPEACE Info, News und Publikationen zu Meeren und Fischerei