Rüdiger Stöhr

Mikrobiologe und Projektmanager bei One Earth-One Ocean e.V, Kiel

>> Normalerweise hat ein Fischer auch Interesse an seinem Netz, da jedes Netz auch einen enormen Wert darstellt. Fischer bergen auch aus eigenem Interesse ihre Netze, wenn es irgendwie möglich ist. Wir reden hier gezielt über Unfälle, aber es gibt schon eine Menge Unfälle. Also wir reden jetzt in der Ostsee von 5 000 pro Jahr. Und dort gehen dann auch häufig Netze verloren. Die Behörden haben eine Struktur etabliert, dass verlorengegangene Netze gemeldet werden sollen. Jedoch geht die Rechnung einer Bergung eines gemeldeten Netzes an den Fischer, sodass die Fischer verlorene Netze gar nicht erst melden. <<

Meeresmenschen-Audios

Darum geht´s: Meeresmüll, Fischernetze, Ehrenamt, Fischerei, (Mikro)Plastik

Hört rein, was Rüdiger Stöhr über das Müllsammelboot „Seekuh“, die Arbeit von OEOO und Geisternetze zu sagen hat:

Meeresmenschen-Talk mit Rüdiger Stöhr: Von winzigem Plastik und riesigen Netzen

Wer bist Du und wo sind wir?
Mein Name ist Rüdiger Stöhr. Wir befinden uns an Bord der Seekuh. Die Seekuh ist 2017 fertig gestellt geworden. Im Jahr 2018 haben wir sie dann zerlegt und nach Hongkong verschifft. Das besondere an der Seekuh ist, dass sie modular aufgebaut ist. Man sieht dort vorne die Schraubenköpfe und hier unter den Deckeln sind die Gegenmuttern. Und damit können die Traversen, die mit dem Rumpf quasi nur verbolzt sind, gelöst werden und dadurch wird die ganze Konstruktion zerlegbar. Wir haben die Seekuh dann in vier 40 Fuß Containern verpackt und verschifft. In Honkong haben wir sie dann zusammengebaut und dann im Hongkonger Hafen nach Müll gefischt.

Welche Aufgaben hat die Seekuh?
Dieses Schiff hat für uns zwei Aufgaben. Einmal ist sie als auffälliger Bau konzipiert worden, damit sie Aufmerksamkeit erregt und uns so auch als Werbeträger dient. Dann geht es darum, Müll aus dem Meer heraus zu holen und das kann sie durch eine Netzkonstruktion. Also wir haben hier zwei Rahmen und die bilden mit den Netzen eine Art „Unterkiefer“, der reicht bis zwei Meter Wassertiefe und kann dort Müll einfangn.

Wieviel Müll kann die Seekuh aufnehmen?
Die Seekuh wiegt sechs Tonnen und ist für neun Tonnen zugelassen, sodass man rein theoretisch drei Tonnen fischen könnte. Soviel Müll hatten wir aber bisher noch nicht an Bord.

Was ist Euer aktuelles Projekt?
Das Sammeln von Geisternetzen ist der Schwerpunkt, auf den wir uns zurzeit verlagert haben. Mit den Netzen haben wir mehr gezeigt, wie man hier im Meer Müllfischen kann. Unsere weiteren Schiffe haben wir optimiert zum Müll sammeln, die arbeiten aber jetzt mit Förderbandtechnologie und nicht mehr mit manuell zu bedienenden Netzen.

Hier hat sich jetzt der Schwerpunkt auf das Fischen von Geisternetzen verlagert. Statt des einen Netzrahmens haben wir jetzt hier eine Plattform eingebaut, sodass wir Taucher und ihr Equipment mit an Bord nehmen können. Dann fahren wir raus, in diesem Jahr haben wir drei Schwerpunktaktionen, wo es darum geht hier im Bereich der Kieler Förde, vor Fehmarn an Wracks oder im Kleinen Belt in Dänemark Geisternetze zu bergen.

Wir können uns vor Nachfragen kaum retten. Wir bräuchten eigentlich eine zweite Seekuh, um alle interessierten Taucher*innen mit an Bord nehmen zu können.

Wir arbeiten da mit der Scientific Diving Association zusammen. Der Leiter Hubert Pinto de Kraus ist auch der Leiter des Tauchzentrums der Uni Kiel und der ist totala happy über dieses Angebot, und bietet das seinen Studierenden und Mitgliedern an, sodass wir uns vor Nachfragen kaum retten können. Wir bräuchten eigentlich eine zweite Seekuh, um alle interessierten Taucher*innen mit an Bord nehmen zu können.

Die Seekuh ist eine ideale Plattform. Sie liegt als Zweirumpfboot sehr ruhig im Wasser und wir können die Wracks und Geisternetzte sehr genau anfahren. Wir verankern die Seekuh dann dort und dann haben die Taucher alle Zeit und können in mehreren Staffeln von Bord gehen und die Netze sondieren, markieren und unter Wasser zusammenraffen. Die Taucher lernen dabei eine Menge und das ist auch das interessante für Sporttaucher, die sonst nur gucken dürfen und hier können sie Hands on machen.

Wir können die Seekuh auch auf Flüssen einsetzen. Nur hier im küstennahen Bereich wissen wir eben, wo die Wracks sind. Und klar, in der Elbe oder so könnten wir auch arbeiten,  wobei es für dieses Schiff schon einfacher ist, in einem strömungsfreien Bereich zu agieren. Wobei im Kleinen Belt haben wir auch Strömung und da erfolgreich gearbeitet, allerdings etwas anders, da haben wir uns am Ufer festgelegt und vor dort aus gearbeitet.

Was ist ein Geisternetz?
Bei Strömung oder Sturm, verdriften diese Netze. Und wenn sich so ein Netz am Wrack verhängt, dann ist es für den Fischer unter Umständen verloren, vor allem wenn die Markierungsboje abgeht. Wenn es dann vom Wrack vielleicht noch aufgesponnen wird, ist das Netz eine permanente Gefahr für die Fische. Wir beobachten das auch, denn wir holen nicht nur Netze raus sondern auch Fischüberreste.

Wenn sich so ein Netz am Wrack verhängt, dann ist es für den Fischer unter Umständen verloren, vor allem wenn die Markierungsboje abgeht. Wenn es dann vom Wrack vielleicht noch aufgesponnen wird, ist das Netz eine permanente Gefahr für die Fische.

Foto © Barbara Dombrowski

Normalerweise hat ein Fischer auch Interesse an seinem Netz, da jedes Netz auch einen enormen Wert darstellt. Fischer bergen auch aus eigenem Interesse ihre Netze, wenn es irgendwie möglich ist. Wir reden hier gezielt über Unfälle, aber es gibt schon eine Menge Unfälle.

Was wird getan, um Geisternetze zu verhindern?
Die Frage ist immer, wo man die Grenze setzt. Normalerweise hat ein Fischer auch Interesse an seinem Netz, da jedes Netz auch einen enormen Wert darstellt. Fischer bergen auch aus eigenem Interesse ihre Netze, wenn es irgendwie möglich ist. Wir reden hier gezielt über Unfälle, aber es gibt schon eine Menge Unfälle. Also wir reden jetzt in der Ostsee von 5 000 pro Jahr. Und dort gehen dann auch häufig Netze verloren. Die Behörden haben eine Struktur etabliert, dass verlorengegangene Netze gemeldet werden sollen. Jedoch geht die Rechnung einer Bergung eines gemeldeten Netzes an den Fischer, sodass die Fischer verlorene Netze gar nicht erst melden.

Sind Schleppnetze ein großes Problem?
Ja, aber nicht unbedingt in der Ostsee. Es sind vor allen Dingen die großen Netze, die im Atlantik verloren gehen und über einen Kilometer lang sind, die dann eben auch im Wasser treiben bleiben. Denn das was da drin gefangen ist, fängt an zu verwesen, das bildet Gas und das treibt die Netze wieder nach oben und dann fangen die Netze immer weiter.

Werden in der Ostsee vor allem Stellnetze verwendet?
Also die Kleinfischerei ja, die hat hauptsächlich Reusen und diese Art von Netzen, es gibt aber auch noch ein paar Fischer, die Schleppnetz-Fischerei betreiben. Aber eigentlich ist die Ostseefischerei komplett am Boden. Es gibt nur noch wenige Fischer, die mit der Fischerei ihr Brot verdienen. Eigentlich sind das alles nur noch Nebenerwerbs-Fischer, bei denen es nicht mehr reicht, davon zu leben. Weiter im Osten, in Polen, ist das glaube ich eine andere Situation. Da gibt es noch verstärkt Fischerei. Und dort findet man auch wesentlich mehr an Geisternetzen.

Eine Wasserprobe kommt im 20 Liter Kanister und da schaue ich dann nach wie viel Kunststoff da drin ist. Es ist erschreckend, denn ich werde bei fast jeder Probe fündig.

Welche Rolle spielt Mikroplastik in Deiner Arbeit?
Ich arbeite viel in der Mikroplastikanalyse. Wir haben ein Labor, wo wir die Gerätschaften haben, um Mikroplastik aus dem Wasser rauszuholen und zu identifizieren. Wir haben eine Kooperation mit einer Reederei, früher hieß sie noch oldenburgische-portugiesische-Dampfschiff-Rederei von ca. 1848. Heute gehört sie zur CGMCGA-Gruppe und die Schiffe, die für uns Wasserproben mitnehmen, fahren zwischen Hamburg und den Kanaren hin und her, machen teilweise Abstecher ins Mittelmeer, sodass wir dadurch in dem Bereich immer Wasserproben bekommen.

Eine Wasserprobe kommt im 20 Liter Kanister und da schaue ich dann nach wie viel Kunststoff da drin ist. Es ist erschreckend, denn ich werde bei fast jeder Probe fündig. Das Ganze können wir hier auch an Bord machen. Hier haben wir auch ein kleines Labor. Dort haben wir Messgeräte, Mikroskope, Computer, Infrarot-Spektrometer und die Geräte für die Aufarbeitung der Wasserproben, die die Filtration dann aufbauen.

WEITERLESEN:
oneearth-oneocean.com/

Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 23.04.2021 und am 26.05.2021. Zur besseren Lesbarkeit wurde das Interview teilweise gekürzt, strukturiert und redigiert.