Wie bekommen wir die Überdüngung in der Ostsee in den Griff? – Die zweite Episode von frutti di mare

Die Landwirtschaft ist eine der bedeutendsten Quellen für Nährstoffe, die in die Ostsee gelangen und dort zum Umweltproblem der Eutrophierung führen. Für die zweite Episode der Wissensserie frutti di mare haben wir Agrarexperten auf einem Versuchshof an der Schlei getroffen, die Ideen für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft haben.

In Ihrem aktuellen Aktionsplan nennt die HELCOM, der Zusammenschluss der Ostsee-Anrainerstaaten zum Schutz der Ostsee-Umwelt, die Eutrophierung – oder auch Überdüngung – die größte Umweltbedrohung in diesem Meer. Hinter dem Begriff der Überdüngung steckt die Anreicherung von zu vielen Nährstoffe in Gewässern. Sind Gewässer überdüngt, folgt ein starkes Wachstum von Algen, so genanntem Phytoplankton. Die entstehende Algenteppiche verdunkeln einerseits das Wasser, weshalb Seegraswiesen und Kelpwälder dann das Licht zum Leben fehlt.

Sterben Seegraswiesen und Kelpwälder ab, verlieren Meereslebewesen ihre Lebensräume, eine Abnahme der Biodiversität ist die Folge. Andererseits sinkt das Phytoplankton langsam zum Meeresgrund, wo es durch Mikroorganismen abgebaut wird. Da bei diesem Vorgang eine Menge Sauerstoff verbraucht wird, können am Boden sauerstoffarme Zonen entstehen, in den kaum noch Leben möglich ist. Lebewesen wie Seeigel oder Seesterne, die nicht fliehen können, sterben, während Fische vertrieben werden. In der Ostsee sind wohl auch durch die Überdüngung die Bestände von Dorsch stark eingebrochen, wie neueste Erkenntnisse zeigen.

Grafik zum Vorgang der Eutrophierung

So funktioniert die Eutrophierung von Gewässern. Abbildung: © petraboeckmann.de / Meeresatlas der Heinrich-Böll-Stiftung

Die Schleiregion als betroffenes Gebiet

Wie viele Gebiete in der Ostsee ist auch die Schlei, ein Meeresarm in Schleswig-Holstein, von der Eutrophierung betroffen und laut Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union in einem „schlechten ökologischen Zustand“. Durch verschiedene Ansätze soll in dem lokalen Projekt, dem Modellprojekt Schlei diese Herausforderung angegangen und der Umweltzustand der Schleiregion verbessert werden. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die lokale Landwirtschaft. Denn die Nährstoffe, vor Allem Stickstoff und Phosphor, die in synthetischen Düngern und Gülle enthalten sind, sind die Hauptursache für die Eutrophierung in der Schlei und der Ostsee insgesamt. Diese landen nicht nur auf dem Feld und bei den Pflanzen, sondern auf verschiedenen Wegen auch in Gewässern.

Genau hier setzt ein Forschungsprojekt der Universität Kiel an, das zum Modellprojekt Schlei gehört. Die Wissenschaftler*innen der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät haben verschiedene Konzepte entwickelt, die unter anderem auf dem Hof des Landwirts Andreas Hobus getestet werden.

Idee 1: Weniger düngen, Leistung bezahlen

Der Fokus liegt auf dem Dünger und einer Reduktion der Nährstoffe. Eine Idee ist die „schlaginterne Segregation“. Dieser komplizierte Begriff beschreibt, dass auf 10% eines Felds gar nicht gedüngt wird und auf dem Rest des Feld 90% der eigentlichen Düngemittel. Auf den ungedüngten Flächen entstehen zum Beispiel Blühstreifen, auf denen ganz unterschiedliche Pflanzen und Blumen wachsen können. „Damit fängt man zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagt Uwe Latatcz-Lohmann, Professor für Agrarökonomie an der Universität Kiel. Zum einen würden Düngemittel eingespart und zum anderen schaffe man durch die nicht bewirtschafteten Flächen Lebensraum für verschiedene Tiere, fördere so also die Biodiversität.

Ein Teil der Schlei, Angler und Möwen

Die Schlei in Schleswig-Holstein ist laut EU-Wasserrahmenrichtlinie in einem schlechten ökologischen Zustand. Auch aufgrund von Stickstoff- und Phosphoreinträgen durch die Landwirtschaft. Bild: © Vincent Köller

Gleichzeitig gehen den Landwirt*innen hierdurch jedoch Produktionsflächen verloren. Aktuell werden sie dafür durch Programme der Europäischen Union finanziell entschädigt. Teil des Projekts der Wissenschaftler*innen ist nun eine neue Herangehensweise, die Landwirt*innen als Unternehmer*innen begreift. So wird die Anlegung eines Blühstreifens beispielsweise als Umweltleistung für die Gesellschaft verstanden, die bezahlt wird.

„Damit fängt man zwei Fliegen mit einer Klappe“

Das Modell dahinter ist die Gemeinwohlprämie, die durch den Deutschen Verband für Landschaftspflege entwickelt wurde. Nach dem Modell gibt es 19 verschiedene Maßnahmen, wie die Blühstreifen zum Beispiel, die bepunktet werden. Für jeden Punkt erhalten die Landwirt*innen einen gewissen Geldbetrag. Die Umweltleistungen können so zum Betriebszweig der Landwirt*innen werden. Das sei ein sehr unternehmerischer Ansatz und Landwirte seien nun mal Unternehmer, findet Uwe Latacz-Lohmann, der sich viel von dem Modell verspricht.

Idee 2: Nährstoffkreisläufe schließen und auf Klee zurückgreifen

Neben dem wirtschaftlichen Konzept, testen die Kieler Wissenschaftler*innen auf dem Hof noch eine zweite Idee, durch die versucht, Aspekte der Landwirtschaft noch etwas grundlegender zu verändern. Aktuell haben wir nämlich vor Allem spezialisierte Ackerbau- und Milchviehbetriebe in Deutschland, die jeweils einen Nährstoffüberschuss haben und in denen kein Kreislauf von Nährstoffen stattfindet. Die einen kaufen Futtermittel für die Tiere und müssen die entstehende Gülle loswerden. Die anderen kaufen Dünger und bauen nur sogenannte Marktfrüchte an.

Junge Kühe in einem Stall

Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind spezialisierte Betriebe, in denen kein Nährstoffkreislauf stattfindet. Bild: © Vincent Köller

Wenn diese spezialisierten Betriebe miteinander kooperieren würden, könnten Nährstoffkreisläufe wieder geschlossen werden, sagt Friederike Fenger, die ebenfalls Agrarwissenschaftlerin an der Universität Kiel ist. So geben Viehbetriebe den Wirtschaftsdünger, beispielsweise Gülle, an Ackerbaubetriebe, die damit ihre Pflanzen düngen. Gleichzeitig verändert der Ackerbauer seine Fruchtfolge, sodass besondere Futtermittel angebaut werden.

„Der Klee ist der Schlüsselpunkt zum gesamten System“

Die zentrale Rolle spielt dabei Kleegras, das Friederike Fenger als den „Schlüsselpunkt zum gesamten System“ bezeichnet. Bei Klee handelt es sich nämlich um Leguminosen. Und diese sind nicht, wie Gras beispielsweise, auf Dünger angewiesen, um zu wachsen. Sie können den Stickstoff direkt aus der Luft nutzen und in ihren Wurzeln fixieren. Von diesem Stickstoff profitieren zusätzlich auch die später angebauten Pflanzen. So muss in der neuen Fruchtfolge im Ackerbaubetrieb deutlich weniger gedüngt werden, was einen Anbau nach ökologischen Standards in einigen Jahren der Fruchtfolge möglich macht.

Elias von frutti di mare im Gespräch mit den Wissenschaftlern

Elias von frutti di mare im Gespräch mit Uwe Latacz-Lohmann und Friederike Fenger von der Universität Kiel. Bild: © Vincent Köller

Umstellung kann auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen

Dies hat nicht nur einen umweltschonenden, sondern auch einen wirtschaftlichen Effekt für die Landwirte. So sind in diesem Jahr die Kosten für Betriebsmittel stark gestiegen, vor Allem die Preise für Dünger aber auch für Sprit und Proteinfutter. Für Landwirt Andreas Hobus, auf dessen Hof die Versuchsflächen der Wissenschaftler*innen angelegt wurden, ist eine mögliche Umstellung auch mit einer Unabhängigkeit von diesen Preisentwicklungen verbunden: „Mein Wunsch war es immer schon, das komplette Futter für meine Kühe selber zu erzeugen und gerade mit dem Problem, wie man das Protein selber erzeugt, fand ich es richtig spannend, mit dem Kleegras was zu machen“. Der Umweltgedanke spiele aber ebenfalls eine große Rolle, wenn durch diese Art des Wirtschaftens Stickstoffdünger eingespart werde und verhindert werde, dass Sojafuttermittel importiert werden müssten.

„Alles hängt mit Allem zusammen“

Stellt sich die Frage, warum Stickstoffdünger überhaupt so wichtig ist und nicht die gesamte Landwirtschaft auf diesen verzichten kann, wie es ökologische Betriebe es tun. Dies hänge insbesondere mit den Ertragsunterschieden zusammen, führt Friederike Fänger aus. Während Biobetriebe bei Futtermitteln wie dem Kleegras noch ähnlich viel ernten würden wie konventionelle Betriebe, seien die Unterschiede bei Getreide oder Kartoffeln deutlich höher. Eine Umstellung auf gesamter Fläche hätte trotz stärkeren Umweltleistungen so eine geringere Produktion zur Folge.

„Ein Großteil unseres Getreides landet im Tier“

Entscheidend können hier aber auch die Konsument*innen werden. Friederike Fenger erklärt: „Ein Großteil unseres Getreides landet im Tier.“ Wenn sich die menschliche Ernährung ändern würde und weniger Tierprodukte konsumiert werden würden, könne man so wieder eine Richtung gehen, in der Umweltleistungen der Landwirtschaft eine größere Rolle spielen.

Nahaufnahme von Kleegras

Im Konzept der Agrarwissenschaftler*innen spielt Kleegras als stickfixierende Pflanze eine besondere Rolle. Bild: © Vincent Köller

Ein großer Bogen also, der hier gezogen werden kann. Wir starten beim Meeresschutz und der Eutrophierung und kommen über den Dünger zu der Frage, wie wir Menschen uns eigentlich ernähren sollten. Und dabei haben wir noch wenig über den Klima- und Biodiversiätsschutz gesprochen, was bei diesem Thema natürlich ebenso wichtig ist. „Alles hängt mit Allem zusammen. Das macht die Sache so kompliziert und deswegen ist agrarwissenschaftliche Forschung so spannend“, fast Uwe Latacz-Lohmann zusammen. Gleichzeitig kann es aber vielleicht auch als Chance verstanden werden, wenn eine Umstellung in der Landwirtschaft so weitgehende Effekte mit sich bringt, und Klima-, Biodiversitäs- und Gewässerschutz gemeinsam angegangen werden können.

Mit dem Klimawandel, dem dadurch steigenden Meeresspiegel und dem notwendige Küstenschutz haben wir uns in der ersten Episode von frutti di mare auseinandergesetzt. Wir haben uns vor Allem mit der Frage beschäftigt, welchen Beitrag natürliche maritime Landschaften und Ökosysteme wie Salzwiesen leisten können. Schaut also auch in diese spannende Folge unserer Wissensserie hinein.

Text: Elias Tetzlaff